Zwischen Licht und Dunkel
Island im Vergleich zu früher minimal. Wer sich trotz aller Zweischneidigkeit der Thematik selbst an einem Happen Walfleisch versuchen möchte, könnte das zum Beispiel bei dem Seebaron Sægreifinn tun, einer urigen Lokalität an Reykjavíks altem Hafen. Im umfunktionierten und inzwischen erweiterten Hafenschuppen – der großen Nachfrage sei Dank – darf der Gast auf blauen, ursprünglich für die Fischaufbewahrung genutzten Plastiktonnen Platz nehmen. Das Essen wird größtenteils auf Einweggeschirr serviert. Und dass der eine oder andere Winkel unter Umständen nur ab und zu von Meister Propper Besuch bekommt, macht das Ambiente nur noch authentischer. Kjartan Halldórsson, der Meeresbaron höchstpersönlich, wartet auf mit seiner legendären Hummersuppe – der „vollkommenen“, wie die New York Times anerkennend feststellt – diversen Fisch- und Zwergwalhappen am Spieß sowie einer Auswahl an anderen Traditionsgerichten. Dass Walfleisch etwas von „zähem Rindfleisch mit leichtem Meeresgeschmack“ hätte, kann auch ich seit meinem Besuch dort nicht ganz von der Hand weisen. Meines Wissens spricht der alte Seebär und ehemalige Schiffskoch Kjartan bis heute keine andere als seine Muttersprache. Als Original, wie es im Buche steht, legt er seinen Isländerpullover nur selten ab und wirbt nicht nur in Londons U-Bahn-Gängen für einen Besuch seiner Heimatinsel.
Das isländische Sortiment an Obst- und Gemüse war ursprünglich äußerst begrenzt. Kartoffeln, Gelbe Rüben, Steckrüben, Kohl … Eine viel größere Auswahl gibt der Inselboden freiwillig nicht her. Auch Rhabarber beweist die rare Fähigkeit, auf Island ganz ohne Nachhilfe zu gedeihen. Eine tragende kulinarische Rolle kommt ihm in Form von rabarbarasulta zu, eingekochtem Rhabarber, der an dunkles dickes Pflaumenmus erinnert. Fast jedem Fleischgericht wird automatisch eine kräftige Portion davon verpasst, selbst einem panierten Schnitzel. In meiner Mittagspause schleppte jedenfalls immer irgendwer den Fünfliter-Eimer rabarbarasulta in die Kantine, sobald Fleisch auch nur in Sicht kam. Außerdem sind Johannisbeersträucher weit verbreitet. Sie zieren viele Gärten und auch ihre Beeren schaffen es aus eigener Kraft, auf der Atlantikinsel zu reifen. Ein paar Wildbeeren noch dazu, Blaubeeren vor allem, und das war es dann im Prinzip schon mit dem traditionellen Freiland-Sortiment. In neuerer Zeit gesellen sich hin und wieder auch Garten-Erdbeeren dazu, die es tatsächlich zur Reife bringen, verglichen mit Deutschland allerdings verspätet.
Den geothermalen Energievorräten meiner Wahlinsel ist es zu verdanken, dass seit geraumer Zeit in landeseigenen Gewächshäusern zum Beispiel Tomaten, Gurken und Paprika hervorragend gedeihen. Das hätte sich zur Zeit der Besiedlung niemand träumen lassen. Zusätzlich fand natürlich ganz im Zeichen der Globalisierung auch der „Rest“ seinen Weg hierher. Nicht nur die komplette Bandbreite an Obst und Gemüse inklusive Südfrüchte, sondern alle vorstellbaren Lebensmittel überhaupt. Es gibt nichts, was hier nicht zu haben ist. Eine Tatsache, die sich der Unbedarfte oft nur schwer vorstellen kann. Als ich einem deutschen Gastkoch schon im Vorfeld seines Auftrittes im Restaurant „meines“ Hotels assistieren durfte, konnte ich nur mit größter Mühe seine Zweifel darüber ausräumen, dass wirklich alle Zutaten auf seiner Einkaufsliste vor Ort aufzutreiben wären. Natürlich gibt es auf Island zum Beispiel Zitronengras zu kaufen. Wenn ausnahmsweise der Ananasplatz im Supermarktregal leer bleibt, liegt das höchstens daran, dass die Schiffslieferung zwar im Hafen vor Anker liegt, aber wegen Sturms noch nicht gelöscht werden konnte. Ich habe es selbst erlebt.
Dank dieser Lebensmittel-Auswahl können auch Islands Profiköche aus dem Vollen schöpfen. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Hier etablierte sich eine Spitzengastronomie mit Spitzenköchen. Insbesondere in der Landeshauptstadt ist das Angebot an erstklassigen Restaurants wirklich enorm. Und wenn ein kulinarischer Schlemmerabend auf dem Programm steht, wird man sich auch äußerlich in Schale werfen. Schick sein lautet die Devise. Deshalb fällt der Island-Urlauber im Insel-Restaurant in seinen Jeans, den Wanderschuhen, der Gore-Tex-Jacke und dem obligatorischen Rucksack überdurchschnittlich auf.
Doch nicht nur in den eigenen Reihen beweisen die isländischen Kochmeister ihr Können. Ob nationaler, nordischer oder internationaler
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