Zwischen Mond und Versprechen
ihren Roman Dr. Jekyll und Mr Hyde beiseite.
» Ich weiß nicht « , gestand Amy und meldete sich. » Miss Wyatt, meinen Sie unser Leben bis heute oder wie wir uns unsere Zukunft vorstellen? «
Miss Wyatt lächelte sanft. » Das Fach heißt nicht umsonst Einführung in die Psychologie– wir sind hier, um Fragen zu stellen. « Dann schwebte sie von dannen, mit Rüschenbluse und langem wallendem Blümchenrock. » Um mit der Dichterin Mary Oliver zu sprechen « , rief sie von der anderen Seite des Klassenzimmers herüber, » erzähle mir, was du mit deinem wilden, kostbaren Leben zu tun gedenkst? «
» Also, ehrlich gesagt habe ich darüber noch nicht viel nachgedacht. « Amy hielt herausfordernd die Liste mit den Zitaten hoch.
Sarah sprang natürlich darauf an. » Ich habe in letzter Zeit Gelegenheit zur Introspektion gehabt « , sagte sie und fuhr mit dem Finger die Liste entlang und prüfte sorgfältig jedes einzelne Zitat.
Ich meldete mich. » Miss Wyatt, bekommen wir noch eine zweite Liste für unsere Gruppe? «
» Die Schulbehörde hat erst kürzlich beschlossen, insbesondere die Kommunikation unter den Schülern und den Umweltschutz zu fördern. « Miss Wyatt schwebte wieder von dannen.
» Ich glaube, das heißt Nein « , bemerkte Amy missmutig.
» Oh! « , rief Sarah. » Ich habe mein Zitat gefunden! « Sorgfältig schrieb sie etwas in ihr Heft.
» Wie heißt es? « , fragte ich. Ich war wirklich neugierig… vielleicht gab die Wahl ihres Zitats Aufschluss über ihr abgedrehtes Verhalten.
» Von A. Powell Davies: ›Das Leben ist eine Chance, die Seele zu entwickeln.‹ « Sarah seufzte. » Das gefällt mir. Ich glaube, das ist wahr. Das hat mit dem Gedanken Ähnlichkeit, dass das Leben kein bestimmtes Ziel hat, sondern der Weg zur Erleuchtung ist. «
Ich sah Amy und Pietr an, die mir gegenüber saßen. Sie sahen kühl und unbeteiligt aus. Sie wollten Beobachter bleiben…
» Das klingt wirklich gut « , stimmte ich ihr bei und hoffte im Stillen, dass Sarah auf dem Weg war, ihre Seele zu entwickeln– hin zu mehr Verständnis und Mitgefühl– und nicht auf einem Weg, der zur Vernichtung ihrer Mitschüler führte.
Sie reichte mir das Arbeitsblatt. Ich beugte mich über den Tisch und hielt das Papier so, dass Amy und Pietr mit hineinsehen konnten.
Pietr warf einen Blick auf die Liste, lehnte sich zurück und verkündete: » Mein Zitat ist auch drauf. «
» Was? « , fragte ich. » Du hast schon einen Spruch für dein Leben gefunden? «
Er zuckte die Achseln.
Sarah nahm seine Hand. » Wie lautet er, Pietr? «
» Meine Kerze brennt an beiden Enden; Sie dauert nicht die Nacht; Aber ah, meine Feinde, und oh, meine Freunde– ein schönes Licht sie macht! « So wie er es aufsagte, war mir klar, dass er diese Verse schon viele Male gesprochen hatte, laut und überzeugt. » Edna St. Vincent Millay « , fügte er hinzu.
» Es ist wunderschön, Pietr « , hauchte Sarah mit einer solchen Sanftmut, dass ich innerlich zusammenzuckte.
» Es ist tragisch « , entgegnete ich barsch und sah ihm fest in die Augen. » Du sprichst über den Tod, aber das Zitat soll vom Leben handeln. «
» Es ist auf der Liste « , bemerkte Amy.
» Ist mir doch egal. Es macht keinen Sinn « , fauchte ich. Die Ereignisse des Vortages flammten plötzlich in scharfen Bildern vor mir auf. » Willst du sterben, Pietr? «
Er sah mich mit flatternden Augen an, dann drehte er sich um und schaute auf die Klassenzimmeruhr. Er drehte sich wieder zu mir und fixierte mich mit seinem verwirrenden Blick. » Ich will leben. Jede Sekunde « , erwiderte er scharf.
» Er will wild und gefährlich leben, Jessie. Kapierst du das nicht? Lebe so, als sei jeder Tag dein letzter. « Amy sah mich aus den Augenwinkeln an. Sie seufzte. » Vielleicht suchst du dir doch ein anderes Zitat, Pietr « , schlug sie vor.
» Er muss sich kein anderes Zitat suchen, Amy, er muss nur darüber nachdenken, was er sagt. Er denkt nie nach, bevor er den Mund aufmacht « , warf ich ein.
Pietr begann, mit seinen Fingern auf die Tischplatte zu trommeln.
Von der anderen Seite des Raums spürte ich Dereks Blick auf mir. Ich hatte beinahe vergessen, dass er auch da war, so sehr war ich auf Pietr fixiert.
Amy hob halb abwehrend ihre Hände. » Schon gut. « Sie sah Pietr an und sagte dann mit einem schelmischen Funkeln: » Schande über dich, Pietr– ein junger Mann, der nicht genau überlegt, wie seine Worte auf einen… « , sie sah mich an und verdrehte die Augen, »
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