Zwischen Mond und Versprechen
geschwunden. Sie wollte wohl dem Schuldigen gratulieren. Meine Nachfrage und mein Tonfall schlossen mich als Täterin aus.
Sophia, Sarah und Amy stießen zu uns.
Ich spähte zwischen ihnen zu der immer größer werdenden Gruppe von Schülern, die sich vor dem Beratungslehrerzimmer drängte.
Sarah schob sich näher an Pietr. » Warst du gestern Abend nicht mit Sophia hier, Jessica? «
Stella riss ihre Augen auf.
Sophia schüttelte den Kopf und flüsterte: » Ich bin vor fünf gegangen. «
Amy baute sich mit verschränkten Armen vor Sarah auf. » Jessie mag sich bescheuert benehmen, wenn die Beratungslehrer ungeschickte Versuche starten, ihr zu helfen. Aber Sarah, das schwöre ich, so etwas würde sie nie tun, niemals. Kennst du sie überhaupt richtig? «
Sarahs Gesicht veränderte sich nur unmerklich.
» Oh Gott. « Ich verdrehte meine Augen. » Außerdem war ich nicht die Einzige hier. Derek und Jack waren auch da. Wir haben sie gesehen, bevor Sophia gehen musste. «
Sophia sagte nichts, und ich dachte an die seltsame Botschaft, die in Sophias Stichwortliste verborgen gewesen war. Wusste sie etwas– hatte sie etwas gewusst? Hatte unsere sonst so stille Sophia– dieselbe stille Sophia, die gestern Nachmittag Derek angepflaumt hatte– etwas mit der Verwüstung des Beratungslehrerzimmers zu tun? Ich schüttelte den Kopf und schleppte mich ins Schulhaus.
Aber warum » GEFAHR « ? Ich rieb mir die Stirn und schob die Frage von mir. Sicher, Sophia hatte sich im Lauf des letzten Schuljahrs verändert, aber zu unterstellen, dass sie etwas wusste– dass sie mich hatte warnen wollen, weil etwas die Schule unsicher machte… das hätte bedeutet, dass die Welt viel verrückter war, als ich bisher angenommen hatte. Ich war kaum in der Lage, mit meinen eigenen Problemen fertigzuwerden. Die Welt als solche zu hinterfragen– das ging echt zu weit.
Mitten in der Literaturstunde schob mir Pietr einen Zettel zu. Eine kurze Notiz, die mich im ersten Moment verwirrte.
Hältst du dein Versprechen? Heute ist der Tag.
Ich überlegte, was für einen Tag er meinte.
Mein Versprechen? Ach, Mist. Ich kritzelte zurück.
Deine Eltern?
Er nickte und mein Magen krampfte sich zusammen. Ich hatte gewusst, dass der Tag demnächst kommen würde– er hatte so etwas angedeutet–, aber ich hatte vergessen, dass es der Todestag seiner Eltern war. Mist. Mist. Mist.
Er sah zu mir herüber. Es kam nur eine Antwort in Frage.
Ich nickte und drehte mich wieder nach vorn und gab vor, Miss Ashton zuzuhören. » Shakespeare spricht von Romeo und Julia im Prolog zum ersten Akt als ›Liebende, die unter einem unglücklichen Stern stehen‹. Romeo sagtauch: ›mein Gemüt weissagt mir irgend eine schwarze noch in den Sternen hangende Begebenheit‹, als er auf dem Weg zu Capulets Fest ist, auf dem er Julia begegnet. Die heutige Hausaufgabe lautet: Sind diese beiden jungen Leute vomSchicksal verdammt? Sind ihr und unser Leben Teil eines großen kosmischen Plans oder sind wir für unser Schicksal und unser Glück selbst verantwortlich? Fünfhundert bis tausend Wörter « , schloss sie, als die Schulglocke ertönte.
Ich stöhnte, denn der Unterricht war wie ein Nebel an mir vorbeigezogen. In Mathe ging es nicht besser. Auch beim Mittagessen war nichts Besonderes los, und obwohl ich immer an den richtigen Stellen nickte und » Echt « und » Aha « sagte, bekam ich kaum mit, wovon die Rede war.
Statt Sport hatten wir Kunst, und ich versuchte, mich endlich wieder auf den Unterricht zu konzentrieren, denn an diesem Tag sollte ein Töpferkurs beginnen. Aber Mrs Hahn begrüßte uns schon an der Tür mit einem missmutigen Gesicht. » Ihr müsst euch nicht häuslich einrichten, denn nachher findet eine Schulversammlung statt « , gab sie bekannt. » Ihr könnt eure Sachen dalassen. Ich schließe dann hinter euch ab. «
Ein Gemisch aus Freudengeheul und enttäuschten Seufzern war zu hören. Ich wusste auch ohne Hingucken, wer wie reagierte. Die Klasse teilte sich meistens in Sportler und Nerds auf. Während wir unsere Taschen abstellten, machten sich ein paar Jungs am Waschbecken zu schaffen. Ich hörte, wie jemand das Wasser anstellte, dachte mir aber nichts dabei, bis Mrs Hahn schrie und ich als Kollateralschaden dieser improvisierten Wasserschlacht bis auf die Haut durchnässt war.
Mein Shirt triefte. Mrs Hahn sah die ungezogenen Jungs strafend an und befahl: » Das wischt ihr sofort sauber. « Und zu mir sagte sie verächtlich: » Ich befürchte,
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