Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
der Riese »Brown Sugar« gesungen hatte - mit dieser monoton quiekenden kindlichen Stimme -, und trat weg.

10
    Sie irrte durch den Mondschein hinter dem Laden. Sie trug einen Teppichrest um die Schultern, konnte sich aber nicht erinnern, woher sie ihn hatte. Er war schmuddelig, aber er wärmte, und sie zog ihn enger um sich. Dann merkte sie, dass sie das Gebäude in Wirklichkeit umkreiste , dass dies ihre zweite, dritte oder gar vierte Runde sein konnte. Ihr wurde bewusst, dass sie ihren Expedition suchte, aber immer wenn sie ihn nicht finden konnte, vergaß sie, dass sie hinter dem Laden schon gesucht hatte, und machte eine weitere Runde. Das vergaß sie, weil sie auf den Kopf geschlagen und vergewaltigt und gewürgt worden war und unter Schock stand. Sie befürchtete, eine Gehirnblutung zu haben - aber wie konnte man das wissen, außer man wachte bei den Engeln auf, die es einem erzählten? Die Nachmittagsbrise hatte aufgefrischt, und das Ticken des Blechschilds war etwas lauter. DU MAGST ES ES MAG DICH.
    »7Up«, sagte sie. Ihre Stimme war heiser, aber brauchbar. »Das ist es! Du magst es, und es mag dich.« Sie hörte sich selbst laut singen. Sie hatte eine gute Singstimme, die überraschend angenehm rauchig klang, seit sie gewürgt worden war. Es war, als hörte man Bonnie Tyler hier draußen im Mondschein singen. »7Up tastes good … like a cigarette should!« Ihr wurde bewusst, dass das nicht richtig war, und selbst wenn es das war, sollte sie etwas Besseres als abgefuckte Werbejingles singen, solange sie diese angenehm rauchige Stimme hatte; wenn man vergewaltigt und mit zwei anderen verwesenden Vergewaltigungsopfern als tot in einer Röhre zurückgelassen wurde, musste man der Sache irgendwas Gutes abgewinnen können.
    Ich werde Bonnie Tylers Hit singen. Ich werde »It’s a Heartache« singen. Den Text weiß ich bestimmt. Ich bin mir sicher,
dass er auf dem Schrottplatz zu finden ist, den jede Autorin im Hinterkopf …
    Aber dann trat sie wieder weg.

11
    Sie saß auf einem Felsblock und weinte sich die Augen aus. Den schmuddeligen Teppichrest trug sie weiterhin um die Schultern. Ihr Schritt brannte und schmerzte. Der saure Geschmack in ihrem Mund ließ darauf schließen, dass sie sich irgendwann zwischen ihren Runden um das Gebäude und der Rast auf diesem Felsblock übergeben haben musste, aber sie hatte keine Erinnerung daran. Woran sie sich erinnerte …
    Er hat mich vergewaltigt, er hat mich vergewaltigt, er hat mich vergewaltigt!
    »Du bist nicht die Erste, und du wirst nicht die Letzte sein«, sagte sie, aber diese von ersticktem Schluchzen unterbrochene liebevoll strenge Feststellung war nicht sonderlich hilfreich.
    Er hat versucht, mich umzubringen, er hat mich fast umgebracht!
    Ja, ja. Und in diesem Augenblick erschien ihr sein Versagen nicht sehr tröstlich. Sie sah nach links, wo in fünfzig bis sechzig Meter Entfernung das verlassene Gebäude stand.
    Andere hat er umgebracht! Sie liegen in der Röhre! Kä fer krabbeln auf ihnen herum, ohne dass es sie stört!
    »Ja, ja«, sagte sie mit ihrer rauen Bonnie-Tyler-Stimme, dann trat sie wieder weg.

12
    Sie war »It’s a Heartache« singend mitten auf der Stagg Road unterwegs, als sie hinter sich ein näher kommendes Motorengeräusch hörte. Sie warf sich herum, wäre fast gestürzt und sah Autoscheinwerfer, die eine Hügelkuppe anstrahlten, über die sie gerade gekommen sein musste. Das war er. Der Riese. Er war zurückgekommen, hatte den Durchlass inspiziert und gesehen, dass sie nicht mehr darin lag. Und jetzt war er auf der Suche nach ihr.
    Tess war mit einem Sprung im Straßengraben, ging in die Knie, verlor den umgehängten Teppichrest, sprang wieder auf und stolperte blindlings in die Büsche. Ein Ast ritzte ihr die Wange blutig. Sie hörte eine Frau angstvoll schluchzen. Das Haar fiel ihr ins Gesicht, als sie auf alle viere niedersank. Die Straße wurde hell, als die Scheinwerfer über den Hügel kamen. Sie sah den Teppichrest, den sie verloren hatte, sehr deutlich und wusste, dass der Riese ihn auch sehen würde. Er würde halten und aussteigen. Sie würde versuchen wegzurennen, aber er würde sie einholen. Sie würde schreien, aber niemand würde sie hören. In solchen Storys tat das nie jemand. Er würde sie umbringen, aber zuvor würde er sie noch mal vergewaltigen.
    Das Auto - es war ein Auto, kein Pick-up - fuhr vorbei, ohne langsamer zu werden. Aus seinem Inneren drang der Sound von Bachman-Turner Overdrive, voll aufgedreht:

Weitere Kostenlose Bücher