Zwischen Olivenhainen (German Edition)
ihrer Umhängetasche hervor. Raffaello musterte sie grinsend.
„Steht dir gut“, bemerkte er, dann richtete er den Blick wieder geradeaus auf die Straße. Ein alter, rostiger Lieferwagen tuckerte vor ihnen her. Raffaello bremste so abrupt ab, dass Leslie der Sicherheitsgurt in die Schulter schnitt. Jetzt konnte sie den blöden Sonnenbrand schmerzhaft in jeder Zelle spüren. Raffaello hupte, fuchtelte einige Sekunden wild mit beiden Händen in der Luft herum und schimpfte irgendetwas auf Italienisch, bevor er das Gaspedal durchtrat und mit vollem Karacho an dem ehemals weißen Lieferwagen vorbei schoss. Dann wechselte er wieder auf ihre eigene Fahrspur. Leslies Magen schlug Purzelbäume.
„Vielleicht hättest du nicht zu mir rüber sehen sollen“, sagte sie. „Du wärst dem Kerl fast in den Kofferraum gefahren.“ Raffaello grinste fröhlich.
„Ich weiß“, entgegnete er. „Hat aber Spaß gemacht.“
„Spaß?!“
„ Sì .“
„Hast du deinen Führerschein denn jetzt?“
Sie erinnerte sich daran, dass er letztes Jahr behauptet hatte, er bräuchte keinen.
„Ich bin neunzehn, Leslie. Für wen hältst du mich?!“, entgegnete er mit gespielter Empörung. Wobei das ihre Frage noch lange nicht beantwortete. Sie beschloss, es darauf beruhen zu lassen und keine weiteren Fragen mehr zu stellen. Irgendwann würde er mit den Antworten vielleicht von sich aus rausrücken. Irgendwann?! Stopp, nichts da!, dachte sie entsetzt, ich werde ihn bloß am Freitag zum Pizzaessen bei Mario wieder sehen – und das war’s dann auch! Arrivederci , Raffaello! Bevor sie mit Schrecken feststellte, wie sehr seine Anwesenheit ihre Laune hob, war er auch schon auf die Einfahrt zu Annes und Leslies Ferienhaus abgebogen.
„Halt!!“, schrie sie entsetzt. Er bremste so plötzlich ab, dass die Bremsen aufquietschten.
„Was ist los?!“, rief er alarmiert und schaute zu ihr herüber. „Stimmt was nicht, Leslie?“ Himmel, er musterte sie richtig besorgt!
„Kannst du … vielleicht wieder zurück auf die Landstraße fahren?“, fragte sie zögernd. Seine dichten Augenbrauen zogen sich zusammen, er schob die Sonnenbrille ins Haar.
„Warum das?“, entgegnete er.
„Weil …“, begann sie, brachte es aber nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass sie nicht wollte, dass Anne sie mit ihm sah. „Ach, egal, lass mich einfach hier raus“, sagte sie dann.
Wahrscheinlich war es ohnehin zu spät. Anne hatte die Bremsen bestimmt nicht überhört. Und da Leslie mehr als drei Stunden unterwegs gewesen war (sie hatten höchstens eine Stunde verabredet), machte sie sich garantiert Sorgen und war bei jedem noch so leisen Geräusch ans Fenster gerannt, nachdem sie ihre Freundin dreimal verflucht hatte, weil diese ihr Handy vergessen hatte. Leslie öffnete die Wagentür.
„Moment“, sagte Raffaello, „ich sollte dir wenigstens helfen, die Einkäufe reinzutragen.“ Oh nein …
„Ach, nein, das geht schon, echt“, erwiderte sie bemüht locker. Doch als sie den Kofferraum öffnete und eine der schweren Tüten heraushob, ließ sie sie sofort wieder mutlos sinken. Na toll. Aus und vorbei war es mit ihrem Vorhaben, ihre Begegnung mit Raffaello geheim zu halten.
„Ich sagte doch, du schaffst es nicht alleine“, sagte er dicht hinter ihr. Ein wenig zu dicht. Sie trat einen Schritt zur Seite.
„Setz dich wieder ins Auto, wir fahren bis vor eure Haustür und ich helfe dir, einverstanden?“, fragte er. Einverstanden, Gentleman, dachte Leslie ironisch. Dann klappte Raffaello den Kofferraum wieder zu und sie tuckerten das letzte Stück der Auffahrt beunruhigend langsam entlang. Anne stand schon in der Tür. Mit offenem Mund.
„Ich hab’s doch gewusst“, jammerte Leslie und rutschte tiefer in ihren Sitz hinein. Raffaello warf Anne einen flüchtigen Blick zu. Scheinbar begriff er allmählich, warum Leslie so einen Aufstand gemacht hatte.
„Willst du reingehen und mich das regeln lassen?“, fragte er. „Oder soll ich dich gleich wieder mitnehmen? Ich wohne nicht weit von hier …“ Vielleicht war das gar keine so schlechte Idee? Aber – alleine mit ihm in einem Haus?!
„Nein, nein, ich überleb’s“, murmelte sie leise. „Aber danke …“ Sie stieg aus und dann nahm Raffaello alle drei schweren Taschen und überließ Leslie das Tragen ihrer eigenen und die drei CDs, die er ihr ausgeliehen hatte. Er schafft es, dachte Leslie, er schafft es, sich bei mir einzuschleimen.
„ Buon giorno “, begrüßte Raffaello die
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