Zwischen Olivenhainen (German Edition)
„Gab’s Probleme?“ Raffaello nickte und sagte etwas auf Italienisch – Leslie vermutete, dass sie das, was er zu sagen hatte, nichts anging und sie kümmerte sich nicht weiter darum. Wahrscheinlich wollte sie es gar nicht wissen. Dann kam Raffaello langsam auf das Sofa zugeschlendert und schielte beiläufig auf den Fernseher. Bei der Dunkelheit, die im Raum herrschte, konnte Leslie nicht viel erkennen, aber sie hätte schwören können, dass seine Miene für einen Moment versteinerte.
„‚ Il Padrino ‘“, sagte er spitz. „Soso. Was zeigt Mario dir für gruselige Sachen?“ Er lächelte, aber es wirkte ein wenig verkrampft. Überhaupt sah er todmüde und erschöpft aus. Leslie schaute auf ihre Armbanduhr – und erschrak. Es war halb eins. Anne würde umkommen vor Sorge. Shit .
„Leslie hat den Film ausgesucht“, verteidigte sich Mario. Er war aufgestanden und jetzt wechselten die beiden wieder einige Worte auf Italienisch. Es klang, als erstatte Raffaello Mario Bericht. Leslie verstand nur einen Namen: Francesco. Raffaello klang angespannt, Mario aufrichtig besorgt – und sie fragte sich allmählich doch, was eigentlich passiert war. Aber wahrscheinlich würde es nichts nutzen, einen der beiden zu fragen. Nicht einmal Mario, wie es aussah.
„Du bist wohl heute auf den Mafia-Geschmack gekommen?“, fragte Raffaello, aber es klang nicht, als mache er einen Witz. Sie schüttelte den Kopf.
„Der Film hat ’nen Haufen Oscars bekommen“, sagte sie. „Ich finde ihn großartig! Die Handlung und die Schauspieler –“
„Schon gut, schon gut“, unterbrach er sie und auf einmal wirkte er nicht mehr so misstrauisch. Er lächelte sogar. Und es schien echt zu sein. „Noch ein Filmfreak“, sagte er und warf Mario einen Blick zu.
„Eigentlich nicht“, widersprach Leslie.
„Gut … Wollen wir dann aufbrechen?“, fragte Raffaello. „Es ist verflucht spät und ich nehme an, du bist genauso müde, wie ich, Leslie.“
„Ihr könnt gerne hier bleiben“, bot Mario an. „Ich habe genug Platz. Ihr müsstet euch nur das eine Gästezimmer teilen.“ Er grinste. Aber Raffaello schüttelte den Kopf.
„Leslies Freundin wird mir die Polizia auf den Hals hetzen, wenn ich sie nicht zurückbringe. Die befürchtet noch das Schlimmste.“ Er grinste. Und auch Leslie rang sich ein Lächeln ab, dann stand sie auf, bedankte sich bei Mario für die Pizza, den Kochkurs und den mehr oder weniger gemütlichen Fernsehabend und folgte Raffaello dann hinaus zu seinem Auto. Das Dach war geschlossen und der schwarze Wagen verschmolz mit der Nacht. Nur die Sterne und die helle Mondsichel spiegelten sich auf dem glänzend polierten Lack.
Als sie wenig später über die nächtliche Autobahn fuhren, stellte Leslie fest, dass Raffaello trotz aller Müdigkeit scheinbar noch ausgezeichnet rasen konnte. Sie musste lächeln. Nach einer ganzen Weile traute sie sich, ihn nach seinem Gespräch mit Mario zu fragen.
„Wer ist dieser Francesco, von dem du gesprochen hast?“, fragte sie. Die Luft um sie herum schien um einige Grad abzukühlen.
„Mein Bruder“, sagte Raffaello schließlich kühl.
Warum in Gottes Namen hatte er das nie gesagt? „Wie? Du hast einen –“
„ Sì “, unterbrach er sie knapp, „er ist sechs Jahre älter als ich.“ Mehr schien er nicht dazu sagen zu wollen.
„Wohnt er auch hier auf Sizilien?“, fragte sie vorsichtig.
„Nein“, sagte er nur. Das Thema war für ihn abgehakt, noch bevor sie danach gefragt hatte – so jedenfalls kam es ihr vor. Die Stille und die Dunkelheit legten sich wie ein Schleier über ihre Augen, sie hatte das Gefühl, gleich auf der Stelle einzuschlafen. Sie war todmüde. Der Motor summte gleichmäßig, sie hörte Raffaello ab und zu tief Luft holen, während sie schläfrig aus dem Fenster blickte und die nächtliche Landschaft Siziliens an ihnen vorbeizog.
„Wach auf, Leslie.“ Sie fuhr erschrocken hoch. Und brauchte einen Moment, um sich daran zu erinnern, wo sie war. In Raffaellos Auto. Seine Hand lag auf ihrer Schulter. Er lächelte.
„Du hast geschlafen“, sagte er.
„Echt?“ Ein wenig verwirrt schob sie seine Hand von sich. „Wie lange?“, fragte sie dann.
„Nicht lange. Eine halbe Stunde höchstens“, sagte er, und nach einer Weile, in der sie ihn ununterbrochen anstarrte, bis sie begriff, wie bescheuert das aussehen musste: „Deine Freundin macht sich sicher Sorgen. Vielleicht solltest du reingehen. Ich bring dich noch zur Tür.“ Sie
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