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Zwischen Olivenhainen (German Edition)

Zwischen Olivenhainen (German Edition)

Titel: Zwischen Olivenhainen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Wirthl
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geschnittene Gras und die hohen Schirmakazien mit silbernem Licht. Es war nicht mehr so unerträglich heiß, obwohl Leslie sich eingestehen musste, dass sie sich fast schon daran gewöhnt hatte. Sie war nicht überrascht, als Raffaello plötzlich aus der Dunkelheit trat und sich neben sie auf das massive Marmorgeländer stützte. Irgendwie hatte sie gewusst, dass er doch noch auftauchen würde. Sie sprachen eine ganze Weile kein Wort, starrten nur geradeaus in die Ferne.
    „War es was Wichtiges?“, fragte Leslie irgendwann.
    „Was?“, entgegnete er und sah zu ihr herüber. Das wirre Haar warf finstere Schatten auf sein Gesicht.
    „Weswegen du heute Morgen so dringend weg musstest“, sagte Leslie.
    „Ach so“, murmelte er. „Wahrscheinlich schon.“ Wieder schwiegen sie. Fast hatte sie das Gefühl, er sei zum Zerreißen angespannt. Als läge ihm etwas auf der Zunge, das er nicht wagte auszusprechen. Vorsichtig lehnte sie den Kopf an seine rechte Schulter. Die Muskeln unter seinem Hemd waren steinhart.
    „Ich …“, begann er und mit einem Mal klang seine Stimme belegt, „ich hab’ darüber nachgedacht.“ Sie blinzelte zu ihm auf, doch er blickte ihr nicht in die Augen.
    „Über was?“, fragte sie. Er holte tief Luft. Spannte sich noch mehr an.
    „Ich denke, du solltest übermorgen nach Hause fliegen“, sagte er dann mit fester Stimme. Erschrocken sah sie zu ihm auf. Er erwiderte ihren Blick, ohne zu blinzeln.
    „Du meinst, ich soll …?!“, setzte sie an, doch sie brach ab, als sie seinen todernsten Gesichtsausdruck bemerkte. Er nickte.
    „Ja“, sagte er, „es ist besser so, glaub mir.“
    „Aber –“
    „Du wärst in Sicherheit. Vor Spaventos Leuten. Und vor mir.“
    „Was zum –?!“ Doch er schüttelte den Kopf und legte ihr einen Finger auf die Lippen.
    „Keine Widerrede, Leslie“, sagte er mit rauer Stimme. „Du fliegst.“ Sie brachte keinen Ton mehr hervor. Was zur Hölle redete er da?! Was sollte das bedeuten? Wollte er sie nicht mehr? Wollte er sie so loswerden?
    „Nein“, sagte sie trotzig und plötzlich bemerkte sie, dass ihr Tränen in die Augen gestiegen waren. „Ich fliege nicht. Nicht ohne dich.“
    Großer Gott, hatte sie das tatsächlich eben gesagt? Ihr wurde bewusst, dass sie das nur gesagt hatte, weil ein Teil von ihr die ganze Zeit über gehofft hatte, sie könne bei ihm bleiben. Vielleicht nicht für immer, aber doch lange genug … Und dieser Teil konnte es nicht fassen, dass er beschloss, sie gehen zu lassen. Einfach so. Ihn von heute auf morgen zu verlassen.
    „Ich will aber nicht“, sagte sie. Wenigstens zitterte ihre Stimme nicht. Dafür alles andere an ihr. Gleich würde sie losheulen. Aber das tat sie nicht. Sie fiel ihm auch nicht schluchzend um den Hals, wie in irgendwelchen bescheuerten Liebesfilmen. Sie blickte ihm nur geradewegs trotzig in die dunklen Augen. Vielleicht etwas zu flehend.
    „Leslie, du hättest sowieso zurückfliegen müssen“, sagte er und fast meinte sie, ein wenig Verzweiflung in seiner rauen Stimme hören zu können.
    „Dachtest du, ich würde dich daran hindern?“, fragte er. Sie schluckte. Und konnte es nicht fassen.
    „Ja“, presste sie hervor, „ich … hab’ es gehofft.“ Er schloss für einen kurzen Moment die Augen. Als er sie wieder ansah, sah er so entsetzlich aus, dass sie beinahe einen Schritt zurückgestolpert wäre. Aber sie blieb stehen. Erwiderte seinen ungewohnt, fast beängstigend verzweifelten Blick und dann bekam sie keine Luft mehr, als er sie so hemmungslos küsste, dass sie doch noch rückwärts gegen die Wand stolperte.
    Noch mitten in der Nacht rief sie Anne an und teilte ihr knapp mit, dass sie sie nach Hause begleiten würde. Dann verzog sie sich nach draußen auf den Balkon, nachdem Raffaello gegangen war – nicht ohne zu zögern, mit schuldbewusstem Ausdruck auf dem Gesicht –, hockte sich in die hinterste Ecke, die Knie dicht an die Brust gezogen, den Rücken gegen das Geländer gelehnt, auf den kühlen Steinboden und stierte einfach nur hinaus in die Dunkelheit. Und versuchte, nicht darüber nachzudenken, ob Raffaello es ernst gemeint hatte, als er gesagt hatte, er würde sie nicht daran hindern, ihn zu verlassen.
    Den nächsten Tag verbrachte sie damit, in ihrer Ecke auf dem Balkon zu sitzen, ab und zu im Zimmer auf und ab zu gehen und Musik zu hören. ‚ Release Me ‘ in Endlosschleife und einer Lautstärke, die ihr in den Ohren schmerzte. Sie kam nicht mit Raffaello hinunter

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