Zwischen Olivenhainen (German Edition)
sarkastisch. Sie hegte keinerlei Interesse daran zu erfahren, wie man unerwünschte Zeugen aus dem Weg schaffte, ohne ein Grab schaufeln zu müssen.
„Das sind alles Verbrecher“, sagte sie. „Schwerverbrecher.“
„Wir sind bestimmt schon einem begegnet“, sagte Anne, „ohne dass wir es bemerkt haben.“
„Einem Mafioso?“, fragte Melissa kauend. Anne nickte begeistert.
„Toll“, sagte Leslie trocken. Auf eine solche Begegnung konnte sie ehrlich gesagt verzichten. Und das Thema war ihr vollkommen egal. Sie war todmüde und wollte nur noch ins Bett und schlafen. Nur leider saßen Anne und Melissa darauf und wiesen keine Spur von Müdigkeit auf und so sah sich Leslie gezwungen, noch eine Weile bei ihnen sitzen zu bleiben und ihrem Gespräch über die Mafia zu lauschen, bis sie sich schließlich auf den Weg ins Bad machte.
10
Der Freitagvormittag verlief wie die anderen Tage zuvor. Aber er sollte nicht so enden. Leslie war gerade dabei, das ‚ Bella Italia ‘-T-Shirt, das sie sich gekauft hatte, anzuprobieren, als es an der Zimmertür klopfte. Leslie, die nur in Unterwäsche vor dem Spiegel stand, flüchtete sich hastig hinters Bett und lugte dahinter hervor. Melissa, die vollkommen eingekleidet war, in hochhackigen Lederstiefeln und einer scheußlichen Lederjacke, die ihr obendrein zu eng war, stakste zur Tür und öffnete sie. Sie wechselte einige Worte mit dem, der da draußen stand, dann schloss sie mit einem vergnügten „ Arrivederci “ die Tür und wedelte mit einem Briefumschlag in der Luft herum, während sie auf Anne und Leslie hinter dem Bett zukam. Sie grinste.
„Der hier ist für dich abgegeben worden“, sagte sie und hielt Leslie den Umschlag unter die Nase. Aus den Augenwinkeln sah Leslie, dass Anne ganz zappelig wurde und sie alarmiert musterte, als sie den Umschlag entgegen nahm.
„Ich frag´ mich, von wem der ist“, murmelte Melissa. „Der Typ, der ihn gebracht hat, war ein Angestellter vom Hotel, glaube ich …“
„Ist bestimmt nur von Benny oder Mom“, sagte Leslie, die plötzlich ganz zittrig geworden war vor Aufregung. Sie wollte den Brief unter keinen Umständen vor Anne und Melissa öffnen.
„Unsinn“, sagte Anne, „sonst stände da irgendwo ein Absender drauf.“
Da hatte sie nicht unrecht. Der Umschlag war weiß. Keine Adresse, kein Absender, keine Briefmarke. Noch nicht einmal ihr Name stand darauf. Woher also sollte sie sicher sein, dass der Brief für sie war? Irgendjemand hätte ihn persönlich dem Hotelangestellten übergeben müssen. Wer zum Kuckuck sollte sich diese Mühe machen und ihn nicht einfach mit der Post schicken? Und obwohl Anne eine Schnute zog und Melissa „Hey, dürfen wir nicht lesen?“, maulte, stand Leslie auf, noch immer nur in Unterwäsche und verschwand ins Bad, wo sie sich einschließen konnte. Sie setzte sich in der Dusche ganz nach hinten auf die Kante und zog den Vorhang sorgfältig zu, auch wenn ihr bewusst war, dass das absolut nicht nötig war, denn die Tür hatte sie sorgfältig verriegelt, was Anne und Melissa daran hinderte, hereinzukommen und neugierige Fragen zu stellen.
Mit zittrigen Fingern öffnete sie den Umschlag und zog die Karte heraus, die sich darin befand. Sie war ebenfalls schlicht und weiß. Aber nichts stand darauf. Sie drehte sie um und beinahe wäre ihr das Herz stehengeblieben.
„Leslie“,
stand da in sauberen, verschnörkelten Buchstaben.
„Ich weiß nicht, ob du mir verzeihen willst. Dies ist eine
Einladung zu meinem Geburtstag.
Ich würde mich freuen, wenn du kommst.
R. R.“
„Raffaello!“, rutschte es Leslie erschrocken heraus, ein wenig zu laut, wie sie befürchtete. Sie hielt inne und hielt die Luft an, denn sie war sich ziemlich sicher, dass mindestens Melissa vor der Tür stand und angestrengt lauschte. Natürlich. Wie hatte sie so blöd sein können? Heute, genau an diesem Freitag, wurde er achtzehn. Und ehe sie etwas dagegen unternehmen konnte, kamen die Schuldgefühle auf und sie kam sich entsetzlich arrogant und zickig vor, nachdem sie einfach so schnell wütend auf ihn geworden war und sich gezwungen hatte, nicht mehr an ihn zu denken. Aber er war auch wirklich ein Idiot gewesen, dachte sie mürrisch. Unentschlossen wendete sie die Karte hin und her. Tja, es würde wohl nichts daraus werden, sollte sie beschließen, zu seiner Feier zu gehen. Weder eine Adresse noch eine Telefonnummer stand darauf. Toll. Daran hätte er wirklich denken können. Seufzend ließ Leslie den Umschlag
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