Zwischen Olivenhainen (German Edition)
und plötzlich erinnerte er Leslie an ein Kind, das im Körper eines Erwachsenen steckte.
„Doch, doch“, sagte er und nach einer Weile: „Wie findest du ihn?“
Was war das denn jetzt für eine Frage? Liegt das nicht auf der Hand? dachte sie, aber schon nahm sie ihre Abwehrhaltung wieder ein. Rückzug. Fragen, die sie dazu bringen konnten, über sich nachzudenken. Sie hasste das.
„Ganz nett“, sagte sie und Mario zog eine dichte Augenbraue in die Höhe.
„Ganz nett“, wiederholte er spitz. „Na gut …“ Und wieder grinste er so unverschämt, dass Leslie am liebsten aufgestanden wäre, um Raffaello zu suchen, der seinem Freund die Leviten lesen konnte, ohne dass dieser sich beschweren würde.
„ Scusi “, sagte Mario dann, „wahrscheinlich geht mich das alles nichts an.“
Tut es auch nicht, dachte Leslie mürrisch und gab sich Mühe, nicht doch ernsthaft über seine Frage nachzudenken, sondern schaute stattdessen nach vorne zu der schmalen Bühne, von der das Orchester mit einem Mal verschwunden war, dafür aber hatte jemand das Mikrofon, das Mario vorhin benutzt hatte, aufgestellt, doch niemand war zu sehen, der so aussah, als habe er vor, eine Rede zu halten.
„Ziemlich viele Leute hier, hm?“, fragte Mario nach einer Weile.
Leslie nickte abwesend. „Hat Raffaello sie alle persönlich eingeladen?“, fragte sie. Es war doch nahezu unmöglich, dass er mit allen, die da waren, befreundet war.
Mario lachte trocken auf. „Gott bewahre, nein!“, sagte er. „Um die wichtigsten Einladungen hat sich sein Vater gekümmert. Alle anderen hat Franco informiert. Er ist so etwas, wie ein Sekretär.“ Mario schlug die langen Beine übereinander.
„Raffaello kann es eigentlich nicht leiden, dass so viele Leute eingeladen werden, die er noch nicht einmal alle kennt. Er hat sich oft genug beschwert, aber Signor Ruggiero sagt immer, dass man die ‚wichtigen Kontakte‘ pflegen muss.“ Er sah sich um, dann zeigte er unauffällig an den Tisch, der gleich neben ihnen stand.
„Der da zum Beispiel, in dem braunen Anzug, ist der Bürgermeister von Palermo“, sagte er leise. „Der da drüben, der Dicke, der gerade dabei ist, seine Spaghetti zu verschlingen“, er grinste, „das ist Signor Sparacio, er arbeitet ebenfalls in der Regierung.“ Mario lehnte sich weit zurück, verdrehte sich fast gänzlich und wies mit dem Kopf in Richtung des runden Tisches, der vollgestellt mit Blumen vor der niedrigen Bühne stand.
„Die Frau im blauen Kleid, die etwas kräftigere, ist Elena, Raffaellos Mutter. Ach, sieh mal einer an, da sitzt ja auch unser Geburtstagskind.“ Er grinste bis über beide Ohren. Und tatsächlich konnte Leslie Raffaello sehen, der rechts neben seiner Mutter saß und sich scheinbar angeregt mit ihr unterhielt. Besonders glücklich sah er dabei nicht aus – fast wirkte er genervt. Leslie fragte sich, um was es bei ihrem Gespräch ging und da erhob sich ein Mann, sie schätzte ihn auf Mitte fünfzig, der die ganze Zeit über ruhig neben Raffaellos Mutter gesessen und Raffaello zugehört hatte, langsam machte er sich auf den Weg zur Bühne, die noch immer leer und verlassen dastand.
Leslie spürte, wie Mario sich zu ihr herüber beugte, er wandte den Blick kein einziges Mal von dem in einen schwarzen Anzug gekleideten Mann ab, der nun das Rednerpult erreicht hatte.
„Salvatore Massimo Ruggiero“, raunte Mario Leslie zu, in fast andächtigem Ton, „Raffaellos Vater. Er ist ein einflussreicher Mann hier in Italien.“ Raffaellos Vater wirkte noch recht fit, trotz der Tatsache, dass er ziemlich alt aussah mit seinem schwarzen, von grauen Strähnen durchzogenen Haar, das er glatt über den Kopf nach hinten gekämmt hatte.
Auf einmal merkte sie, wie ruhig es geworden war. Im ganzen Garten, an jedem Tisch hielten die Menschen in ihrer Bewegung inne und blickten hinüber zu der kleinen Bühne, und Leslie fragte sich, ob das an Signor Ruggieros Stellung als Politiker oder an seiner Ausstrahlung lag, die ungewöhnlich intensiv und beherrscht war, und plötzlich begriff sie, wie wenig Ähnlichkeit Raffaello mit seinem Vater hatte.
„Ich weiß“, sagte sie, „er ist Politiker, oder?“ Mario legte die Stirn in Falten. Einen kurzen Augenblick lang sah er aus, als amüsierte ihn die Frage.
„So könnte man es theoretisch auch ausdrücken“, sagte er dann lächelnd, den Blick noch immer gebannt nach vorne gerichtet. „Ah, er will eine Rede halten“, bemerkte er, obwohl das von Anfang an
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