Zwischen Rom und Mekka
die Einwände von Muslimen nicht abbringen. Im 4. Kapitel lautet der entscheidende Absatz gegen den Antisemitismus, der für alle Zeit auch im Dialog mit den Muslimen mitgenommen werden muss:
»Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben.«
So kann es für die Kirche keinen Dialog mit dem Islam geben, indem man diesen Sätzen die Geltung abspricht.
Doch der Blick hatte sich zu anderen Religionen hin erweitert. Sei es »auf arabischen Druck hin« - was nie näher präzisiert wurde - oder weil Bischöfen und Theologen damals, in der ersten Hälfte der Sechzigerjahre, bewusst wurde, was sie
am Anfang der Erklärung beschreiben und was später als »Globalisierung« allen selbstverständlich wurde, auch bezüglich der Religionen:
»In unserer Zeit, da sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger zusammenschließt und die Beziehungen unter den verschiedenen Völkern sich mehren, erwägt die Kirche mit umso größerer Aufmerksamkeit, in welchem Verhältnis sie zu den nichtchristlichen Religionen steht. Gemäß ihrer Aufgabe, Einheit und Liebe unter den Menschen und damit auch unter den Völkern zu fördern, fasst sie vor allem das ins Auge, was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt. Alle Völker sind ja eine einzige Gemeinschaft, sie haben denselben Ursprung, da Gott das ganze Menschengeschlecht auf dem gesamten Erdkreis wohnen ließ; auch haben sie Gott als ein und dasselbe letzte Ziel. Seine Vorsehung, die Bezeugung seiner Güte und seine Heilsratschlüsse erstrecken sich auf alle Menschen […].«
Und weiter:
»Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen im Tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?«
Damit waren Hindus und Buddhisten, Muslime und Juden gleichermaßen und unterschiedlich angesprochen. Mit der Frage, ob sie da mithalten, das auch unterschreiben könnten. Das zögerlich anmutende, leidende, gramvolle Antlitz Pauls VI. drückte aus, dass es in der Wirklichkeit nicht so glattgehen würde, wie die Konzilstexte formuliert waren.
Kapitel 12
Paul VI. und die Erklärung über die Religionsfreiheit
Paul VI. und die Konzilsväter brauchten Überwindungskraft und Geduld. Zuerst mussten sie mit einer jahrhundertealten Tradition abschließen, für die in einer modernen pluralistischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts kein Platz mehr war. Dann mussten sie mit Langmut Überzeugungsarbeit bei den Widerspenstigen leisten.
Denn die Religionsfreiheit war lange von den Päpsten als Teufelszeug und Schlangenlist der Neuzeit abgelehnt worden - die Freiheit, andere Religionen gelten zu lassen, die Freiheit sogar, keine zu haben, also ohne Zwang und Gewalt vor der Religion zu bestehen. Das mag man in liberal-demokratischen Gesellschaften für selbstverständlich halten. Aber der Blick in die Geschichte hilft zu begreifen, vor welch gewaltiger Aufgabe der Islam heute steht.
Jahrhunderte hindurch war es selbstverständlich, dass die Mächtigen auch die Religion bestimmten, dass innerhalb einer Kultur eine Religion von allen geteilt wurde; davon abzuweichen galt als Art der Barbaren. Das änderte sich etwa in der europäischen Antike mit den Juden und den Christen, die als religiöse Neulinge für Freiheit plädierten. Als die religiöse Einheit Europas und des Abendlands sich aufsplitterte, bedurfte es zahlloser Kämpfe und Kriege, der Umwege über Kompromisse oder, noch schwieriger, Auswanderung, um zur Toleranz unter den christlichen Religionen zu gelangen. Ethnische oder religiöse »Säuberungen« sind auch heute nicht unbekannt.
Die katholische Kirche hielt lange daran fest, dass sie, im Besitz der Wahrheit, größere Rechte habe gegenüber christlichen
Minderheiten in einem katholischen
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