Zwischen Rom und Mekka
dabei auf. Aufbruch und Ausbruch aus den zwar bewehrten und bewährten, doch engen Bastionen einer vorgeblichen Glaubensgewissheit, die damals die Kirche erfassten, würden eine jede Religion erfassen.
Denn - das kennzeichnet die Lage der Religionen bis heute - überall in der Welt brach man auf und aus. In den westlichen Gesellschaften gärte es. Bald sollten kulturelle Bewegungen, ausgehend von Professoren und Studenten, die traditionellen Lebensanschauungen und Verhaltensregeln revolutionär ändern, nicht nur für kleine Eliten, sondern auch für breite Massen, die Volksreligion gefährdend. In den Ländern der Dritten Welt erhoben sich Befreiungsbewegungen; man rüttelte an der Weltordnung. Von überall her hallte der Religion ein Ruf entgegen: Freiheit.
Dem steht, wie man etwa in der Revolution unter dem Ayatollah Chomeini 1979 in Iran erfahren hat, auch das Bedürfnis nach Identität, nach Eigenachtung und Würde, nach dem Bewahren der Wurzeln gegenüber, was in den muslimischen Ländern für breite Schichten - oder für muslimische Minderheiten in westlichen Gesellschaften - die Religion zu garantieren scheint.
Johannes XXIII. hat vor allem in seiner Enzyklika »Pacem in terris«, am 11. April 1963, knapp zwei Monate vor seinem Tod, unterzeichnet, die Grundidee klar beschrieben. In dem Rundschreiben »Frieden auf Erden«, zum ersten Mal »an alle Menschen guten Willens« gerichtet, geht es nicht mehr nur um die eigene Religion, um deren Reinheit, ihren Sieg über Widerstände, Feindliches, anderes, nicht mehr um die Verbreitung des eigenen Glaubens über die Welt, sondern um Werte, die jenseits der Grenzen der verschiedenen Religionen liegen: um ein Zusammenleben auf der Welt in Frieden, in der »Ruhe der Ordnung« (Augustinus), in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit. Als der »gute Papst« Anfang Juni 1963 stirbt, haben sich der Islam und die Muslime noch nicht machtvoll oder mit Gewalttaten in den Vordergrund der Weltpolitik gedrängt, doch angesprochen waren sie von Johannes XXIII.
Kapitel 11
Paul VI. und das Zweite Vatikanische Konzil - Die Erklärung über die Muslime
Johannes XXIII. hatte Revolutionäres begonnen. Im Inneren der Kirche und für ihre Beziehungen nach außen, auch zum Islam.
Sein Nachfolger, Paul VI., hatte zeit seines Pontifikats, 15 Jahre lang, von 1963 bis 1978, damit zu tun, dass daraus keine Revolution wurde. Denn die frisst bekanntlich ihre Kinder. Das wollte Paul VI. nicht, stets auf Ausgleich zwischen Progressiven und Konservativen bedacht.
Johannes XXIII. hatte bei seiner Antrittsrede mit fünf Worten die Brüderlichkeit aller Menschen, das Geschwisterliche aller Religionen beschworen: »Ich bin Josef euer Bruder.« Darin war im Kern alles enthalten, wenn man es nicht nur für unverbindlichen Schmus nahm, sondern als Programm. Als Johannes XXIII. starb, betrauert von Menschen in aller Welt, von Hunderttausenden allein auf dem Petersplatz, musste man sein Erbe annehmen. Kaum je zuvor war die Botschaft eines Papstes der Welt so zu Herzen gegangen und in den Verstand so vieler Menschen gedrungen.
Die Erbschaft war schwierig. Giovanni Battista Montini, der sie als Paul VI. Ende Juni 1963 antrat, war, wie man skeptisch, missbilligend kommentierte, noch im vorigen, im 19. Jahrhundert geboren, am 26. September 1897 im norditalienischen Concesio bei Brescia, und kannte von der Welt vor allem den Vatikan und als ehemaliger Kardinal-Erzbischof von Mailand die katholische Lombardei. Paul VI. fand überall Aufbrüche; nichts war fertiggestellt. Die erste Sitzungsperiode des Konzils
im Herbst 1962 hatte vor allem gezeigt, dass es so wie bisher mit dem Katholischen nicht weitergehen könne, aber nicht, wie und wohin. Die Fenster und Türen der Kirche wurden sperrangelweit geöffnet, und frische Winde wehten hindurch. Fremde Besucher, auch einige Muslime, gingen neugierig durch die Bollwerke der römischen Glaubensgemeinschaft, und Katholiken spazierten frohgemut in weltlichen Gefilden und in jenen der anderen Religionen und Ideologien umher. An eine ruhige, ordnungsgemäße Verwaltung des Glaubens und der Gläubigen, wie sie sich die römische Kurie wünschte, war nicht zu denken.
Das Zweite Vatikanische Konzil war acht Monate zuvor, am 11. Oktober 1962, mit sieben Patriarchen, 80 Kardinälen, 1619 Bistumsleitern, 975 Weihbischöfen und 97 Ordensoberen in der Petersbasilika eröffnet worden. Es hatte aber sofort einen ganz anderen, von den römischen Zentralbehörden nicht
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