Zwischen Sehnsucht und Verlangen
entgegengesetzte Richtung davon”, fuhr Rafe fort und murmelte ein Danke, als sie ihm Kaffee nachfüllte. „Mein Urgroßvater fand ihn bewusstlos vor der Räucherkammer. Er hatte seinen ältesten Sohn bei Bull Run verloren – er kämpfte auf der Seite der Konföderierten.”
Regan schloss die Augen. „Ihr Urgroßvater hat den Jungen erschossen.”
„Nein. Mag sein, dass er daran gedacht hat, es zu tun, vielleicht war er auch in Versuchung, ihn einfach hilflos verbluten zu lassen, aber er tat es nicht. Er brachte ihn ins Haus und holte seine Frau und seine Töchter zu Hilfe. Sie legten ihn auf den Küchentisch und verarzteten seine Wunden.
Nicht auf diesen hier”, fügte Rafe mit einem winzigen Lächeln hinzu.
„Beruhigend zu wissen.”
„Der Verletzte kam ein- oder zweimal zu sich und versuchte etwas zu sagen, aber er war zu schwach. Am nächsten Morgen war er tot.”
„Sie haben jedenfalls alles getan, was in ihrer Macht stand.”
„Ja, aber nun hatten sie einen toten Soldaten im Haus, sein Blut klebte überall. Und jeder, der sie kannte, wusste, dass sie überzeugte Südstaaten-Anhänger waren, die schon einen Sohn im Krieg verloren hatten sowie noch zwei andere, die für ihre Überzeugung kämpften. Mein Urgroßvater und seine Frau hatten Angst, und deshalb versteckten sie die Leiche des Jungen, warteten, bis es dunkel wurde, und begruben sie dann zusammen mit seinem Revolver und einem Brief seiner Mutter, den sie in der Tasche seines Uniformrocks gefunden hatten.” Nun sah er sie an, seine Augen blickten kühl und bestimmt. „Und das ist der Grund, weshalb es spukt.”
Ihr verschlug es für einen Moment die Sprache, dann setzte sie behutsam ihre Tasse ab. „Wollen Sie damit sagen, dass es hier in diesem Haus auch spukt?”
„Überall hier in der Gegend. Im Haus, in den Wäldern, auf den Feldern.
Man gewöhnt sich an die seltsamen Geräusche, die eigenartigen Gefühle, die einen manchmal überkommen. Wir haben nie viel darüber gesprochen, es war einfach da. Vielleicht bekommen Sie irgendwann auch noch einen Sinn dafür, was sich manchmal nachts in den Wäldern abspielt oder auch auf den Feldern, wenn der Morgennebel aufsteigt.” Er lächelte leicht, als er Neugier in ihren Augen aufflackern sah. „Auch Zyniker verspüren etwas, wenn sie auf einem ehemaligen Schlachtfeld stehen. Nach dem Tod meiner Mutter erschien mir unser Haus … unruhig. Aber vielleicht war die Unruhe auch nur in mir selbst.”
„Sind Sie deshalb weggegangen?”
„Ach, dafür gab es viele Gründe.”
„Und für Ihre Rückkehr?”
„Einen oder auch zwei. Ich habe Ihnen den ersten Teil der Geschichte deshalb erzählt, weil Sie ja jetzt auch etwas mit dem Barlow-Haus zu tun haben. Mir ist daran gelegen, dass Sie die Dinge einordnen können. Und den zweiten Teil deshalb, weil”, er streckte die Hand aus und öffnete die beiden obersten Knöpfe ihres Blazers, „ich beabsichtige, für eine Weile hier auf der Farm zu wohnen. Nun können Sie selbst entscheiden, ob Sie immer hierher kommen möchten oder ob ich lieber zu Ihnen kommen soll.”
„Da mein gesamtes Inventar in meinem Laden ist …”
„Ich rede nicht von Ihrem Inventar.” Nun beugte er sich vor, nahm ihr Gesicht zwischen seine beiden Hände, sah ihr tief in die Augen und küsste sie.
Sein Kuss war erst weich und vorsichtig. Behutsam. Doch gleich darauf stöhnte er und presste seinen Mund fest auf ihre Lippen, die sie ihm bereitwillig öffnete. Er beobachtete, wie ihre Augenlider zu flattern begannen, hörte, wie sie aufseufzte, und spürte direkt unter seinen Fingern das Blut in ihrer Halsschlagader pochen. Der ganz leicht rauchige Duft ihrer Haut war ein erregender Gegensatz zu dem Geschmack ihrer Lippen, der ihn an klares Quellwasser denken ließ.
Regan umklammerte mit ihren Händen ihre Knie. Die Entdeckung, wie gern sie ihn damit berührt hätte, schockierte sie. Sie malte sich aus, wie sich ihre Finger in sein dichtes Haar wühlten und wie sie mit den Fingerspitzen die Muskelstränge betastete, die sich unter seinem ausgewaschenen Flanellhemd abzeichneten. Aber es blieb nur eine Fantasie. Einen kurzen Augenblick lang war ihr Verstand von einem überraschend heftigen Begehren getrübt, doch sie hielt stand.
Als er sich schließlich von ihr löste, lagen ihre Hände noch immer in ihrem Schoß. Sie wartete, bis sie sich sicher sein konnte, dass ihre Stimme auch wirklich trug. „Ich bin Ihre Geschäftspartnerin und nicht Ihre Gespielin”,
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