Zwischen uns das Meer (German Edition)
ernst.
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich so spät komme, Mr Zarkades. Hier gibt es ständig Notfälle. Ich bin Captain Sands. Jim. Ich wollte mit Ihnen sprechen, bevor Sie Ihre Frau sehen.«
Wieder überkam Michael Scham – und dann Wut: auf sich selbst, aufs Militär, auf diesen Mann, der nicht rechtzeitig aufgetaucht war, und auf Gott. »Das wäre schön gewesen.«
»Kommen Sie mit«, bat Sands und führte ihn hinaus auf den Gang, wo Hochbetrieb herrschte. Überall waren Krankenschwestern, die von Zimmer zu Zimmer eilten.
»Wie Sie sicher gesehen haben«, sagte Sands, als Jolenes Tür sich hinter ihnen schloss, »hat Ihre Frau einige schwere Verletzungen erlitten. Es gibt eine Menge Komplikationen, aber unsere größte Sorge gilt der Entzündungsgefahr. Verletzungen von Sprengkörpern wie bei ihr sind besonders gefährlich. Sie können sich gar nicht vorstellen, was dabei alles in die Wunden gerät. Es wimmelt von Bakterien. Wir säubern ihr Bein täglich, das heißt, sie kommt in die Chirurgie, und dort wird das infektiöse Gewebe entfernt – aber ehrlich gesagt, habe ich keine großen Hoffnungen.«
»Was soll das heißen?«
»Sie könnte ihr Bein verlieren. Und wir wissen noch nicht, ob sie ihre rechte Hand je wieder benutzen kann.«
»Wie kann ich ihr helfen?«
»Wir tun, was wir können. Die Verletzungen in ihrem Gesicht werden rasch heilen.«
Michael dankte dem Arzt und ging dann wieder zurück zu Jolene. Er stand stundenlang an ihrem Bett, sah sie an und wartete darauf, dass sie wieder aufwachte. Er wollte sich unbedingt entschuldigen, seine Reaktion wiedergutmachen. Ihr ein besserer Mann sein. Er war während ihrer Abwesenheit so sehr gereift, und doch hatte er bei der ersten Gelegenheit, ihr das zu beweisen, versagt. Vollkommen versagt.
Schließlich ging er erschöpft aus ihrem Zimmer und wollte das Krankenhaus verlassen. Aber als er zu den Aufzügen kam, musste er an Carl und Tami denken. Er fragte eine Krankenschwester nach der Intensivstation und fuhr dann mit dem Aufzug zu dem Stockwerk, wo Tamis Zimmer lag.
Dort sah er durch die große Fensterscheibe, wie Carl mit gesenktem Kopf am Bett seiner Frau stand und weinte. Er wollte schon wieder gehen, als Carl aufblickte und ihn bemerkte. Er wischte sich über die Augen, richtete sich auf, kam zur Tür und öffnete sie.
»Wie geht es ihr?«, fragte Michael.
»Schädel-Hirn-Trauma«, sagte Carl achselzuckend. »Das heißt, entweder wacht sie wieder auf oder eben nicht. Entweder sie erholt sich vollständig oder eben nicht. Sie haben ihr ein Stück vom Schädel entfernt, wegen der Hirnschwellung. Wie geht es Jo?«
Überrascht merkte Michael, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Er machte sich nicht mal die Mühe, sie wegzuwischen. »Möglicherweise verliert sie ihr Bein, und ihre rechte Hand kann sie momentan nicht benutzen.«
Sie starrten sich an. Doch Trost konnten sie einander nicht geben. Michael konnte einfach nicht bei diesem Mann bleiben, den er kaum kannte, und seine Angst mit ihm teilen. »Tja, ich geh jetzt zum Landstuhl-Haus«, sagte er. Das war die Unterkunft für Angehörige verletzter Soldaten, die ein amerikanischer Philanthrop hatte bauen lassen.
»Ich werde heute hier übernachten. Ich hab das Pflegepersonal dazu gebracht, mir ein Bett dazuzustellen«, erwiderte Carl.
Daran hätte Michael auch denken können. Er murmelte kurz, dass sie sich am nächsten Morgen sehen würden, und verließ dann das Krankenhaus. Knapp eine halbe Stunde später befand er sich in einem kleinen, gut ausgestatteten Zimmer mit Doppelbett und angrenzendem Bad im Landstuhl-Haus.
Als er auf dem unbequemen Bett saß, ins Leere starrte und alles noch einmal Revue passieren ließ, dachte er darüber nach, wie er seinen Fehler von heute wiedergutmachen konnte. Wie konnte er Jolene überzeugen, dass er sich verändert hatte, obwohl er sich genauso verhalten hatte, wie es früher typisch für ihn gewesen war?
Dann rief er zur vereinbarten Zeit zu Hause an. Betsy meldete sich. Noch mitten in seiner Begrüßung fragte sie: »Wie geht es Mom?«
Was sollte er sagen? Die Wahrheit würde ihr wahrscheinlich Alpträume bescheren, andererseits musste sie doch auf das Schlimmste vorbereitet sein. Wäre er vorbereitet gewesen, dann wäre er auch besser damit zurechtgekommen. Er lehnte sich an das wacklige Kopfteil des Betts. »Sie sagt, es ginge ihr schon besser, und kann es gar nicht erwarten, mit dir zu reden.«
»Aber was fehlt ihr denn?«
Er schwieg. Jetzt
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