Zwischen uns das Meer (German Edition)
war eine Orgie aus Farben, Bildern und Liebe. Das Beste von allem war ein Bild in der Ecke: Ein Mann und eine Frau standen händchenhaltend beieinander und waren flankiert von zwei strichmännchendünnen Mädchen mit Kräuselhaaren. Ein riesiges rosafarbenes Herz umgab die vier.
Werden wir irgendwann wieder so sein, Jo? , dachte er und lächelte krampfhaft. »Es ist perfekt.«
»Jetzt müssen wir den Kuchen backen«, verkündete Betsy. »Zitronenkuchen isst sie am liebsten.«
»Ich helfe!«, sagte Lulu.
Betsy sah Michael grimmig an. »Sie leckt nur den Löffel ab, Dad. Und sie steckt ihre Finger in die Glasur.«
»Ihr zwei könnt mal zusammenarbeiten«, entgegnete er. »Schließlich ist ein wichtiger Tag. Der wichtigste überhaupt. Eure Mom kommt aus dem Krieg nach Hause, und wir müssen ihr zeigen, dass sie der wichtigste Mensch auf der Welt für uns ist.«
Betsy stand auf und kam zu Michael. »Ist sie schon aufgeregt, weil sie zu uns zurückkommt, Dad?«
Es überraschte Michael, seine eigene Sorge in ihrer Frage zu hören. »Wieso fragst du, Schatz?«
»Ich war nicht immer nett zu ihr.«
Ich auch nicht. »Das versteht sie doch. Sie weiß, wie schwer es für dich war.«
»In letzter Zeit hat sie aber nicht mehr so oft geschrieben.«
»Sie hatte keine Zeit. Im September gab es mehr Kämpfe.«
»Ist das der Grund?«
»Was meinst du damit?«
Betsy sah ihn durchdringend und abschätzend an. »Vielleicht liegt es eher an eurem Streit. Als du sagtest, du würdest sie nicht mehr lieben.«
Michael zuckte zusammen. Also erinnerte sich Betsy noch daran; vielleicht würde sie es ihr Leben lang nicht vergessen, ganz gleich, was noch geschah. Hatte sie sich deswegen die ganze Zeit Sorgen gemacht? Und was sollte er jetzt sagen? »Erwachsene streiten nun mal; das hab ich dir doch schon erklärt.«
»Aber du hast ihr nie geschrieben. Und sie dir auch nicht. Ich bin nicht dumm, Dad.«
»Das ist mir schon klar. Aber …«
»Was ist, wenn sie sich verändert hat?«
Darüber hatte Michael sich auch schon Sorgen gemacht. Er lächelte seine Tochter an und hoffte nur, dass es nicht so gezwungen wirkte, wie es war. »Deine Mom ist schon ganz aufgeregt, nach Hause zu kommen, Betsy. Mach dir keine Sorgen. Wir müssen ihr nur zeigen, wie sehr wir sie vermisst haben.«
»Ich hab sie auch vermisst. Ich kann’s kaum abwarten, sie zu umarmen. Und zu hören, dass sie mich liebhat. Bis zum Mond und wieder zurück.«
Er zog sie in die Arme. »Wir werden wieder glücklich werden, Betsy«, sagte er mit möglichst zuversichtlicher Stimme. »Du wirst sehen. Morgen geht’s los.«
Neun Tage zuvor war Jolene noch mit ihrer besten Freundin über den Stützpunkt geschlendert, hatte sich über das Wetter beklagt und gesagt: In diesem Schlamm kann man ja überhaupt nicht laufen. Sie hatte die Cockpittür des Black Hawk gepackt, war ohne Mühe hineingeklettert und hatte die Füße auf die Pedale gestellt. Sie hatte hundertprozentig und unanzweifelbar gewusst, wer sie war.
Jetzt war sie wieder in der Luft, aber ihre gesamte Welt hatte sich verändert. Sie flog mit sechs anderen Verwundeten, medizinischem Begleitpersonal und ein paar Zivilisten in einer Transportmaschine. Die Patienten waren im vorderen Teil, da ihre Betten an den Innenwänden des Flugzeugs befestigt waren. Ein durchscheinender Vorhang trennte sie von den anderen Passagieren. Früher wäre es Jolene gelungen, trotz ihres Verlusts und ihrer Schmerzen noch zu lächeln; sie hätte dafür gesorgt, dass es den anderen auch gutging. Aber diese Zeiten waren vorbei. Jetzt lag sie im Bett und biss die Zähne zusammen, weil ihr amputierter Fuß im Phantomschmerz pochte.
Als das Flugzeug in Seattle landete, sagte die Krankenschwester im Sitz neben ihr: »Jetzt sind Sie fast zu Hause. Das muss doch schön sein.«
Jolene wandte den Kopf ab und antwortete nicht. Die Krankenschwester hatte recht: es musste eigentlich schön sein, nach Hause zu kommen. Monatelang hatte sie nur davon geträumt, ihre Töchter wiederzusehen. Natürlich hatte sie dabei gedacht, sie würde durch die Haustür treten, auf die Knie sinken und ihre Arme ausbreiten, um alle zu umarmen.
Was war bloß los mit ihr?
Sie hätte froh sein können, überhaupt nach Hause zu kommen. Smitty hätte bestimmt liebend gern mit ihr getauscht. Oder Tami. Allein bei der Vorstellung fühlte sie sich schon schuldig und nichtswürdig. Aber was konnte sie gegen ihre Gefühle machen? Sie schwärten unkontrolliert in ihr.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher