Zwischen uns das Meer (German Edition)
kontrollieren lassen wollten. Deshalb wurden freiwillige weibliche Soldaten für diese Aufgabe gesucht. Ein paar von uns wollten sich verändern und meldeten sich. Ich gehörte zu den Ersten.«
Jolene betrachtete die Frau genauer. Mit ihren blond gefärbten und zu einem französischen Zopf gebundenen Haaren und den getuschten Wimpern sah sie aus, als käme sie aus einer Verbindung für Studentinnen.
»Wir wurden Kampfeinheiten der Marines zugeteilt und in den Irak geschickt. Vorher bekamen wir eine Spezialausbildung, die eigentlich nur eine Woche dauerte und nicht ausreichte, aber dann ging es los. Mir gefiel es. Vor Ort, meine ich. Wer hätte das gedacht? Mein Cheerleading-Trainer sicher nicht. Aber Sie können das bestimmt nachvollziehen.« Leah kam um das Bett herum. Aber ihre Bewegungen waren ungelenk, und sie ging seltsam ruckartig. Dabei verzog sie ihr hübsches Gesicht.
Dann sah Jolene ihre Beine: zwei Metallprothesen, die in Wanderstiefeln steckten.
Jolene schämte sich, weil sie mit ihrem Schicksal gehadert hatte. Schließlich war ihr noch ein Bein geblieben. »Sie haben beide Beine verloren?«
»Von einer USBV . Ich will Sie nicht anlügen, Ma’am. Sie haben noch einen langen, steinigen Weg vor sich. Ich war ein richtiges Miststück. Wie mein Mann das ausgehalten hat, weiß ich nicht.«
»Werde ich je wieder fliegen können?«
Leahs trauriger Blick war schlimmer als jede Antwort. »Dazu kann ich nichts sagen. Aber Sie werden wieder Sie selbst sein. Irgendwann.«
Der Mut dieser Frau angesichts ihrer Lage hätte Jolene etwas bedeuten sollen. Früher, in einer Zeit, die ihr schon eine Ewigkeit zurückzuliegen schien, hätte er das auch. Aber jetzt wollte sie nur noch in Ruhe gelassen werden. Sie wollte sich wieder in der warmen dunklen Badewanne des Selbstmitleids suhlen und machte daher einfach die Augen zu.
Aber jedes Mal, wenn sie wieder aufwachte, war Leah noch da und wachte an ihrem Bett.
Teil Zwei
Soldatenherz
Weisheit bekommen wir nicht geschenkt;
wir müssen sie entdecken, nach einer Reise,
die niemand uns abnehmen oder
ersparen kann.
Marcel Proust
N EUNZEHN
Michael und die Mädchen hatten den ganzen Tag im Einkaufszentrum verbracht. Wie Spürhunde hatten sie unermüdlich und zielstrebig alle Dinge auf ihrer Liste zusammengetragen. Ein neues Bett, neue Laken und Bettwäsche, viele Kissen. Acrylfarbe, eine Rolle Pergamentpapier, zwei Schachteln Filzstifte, eine mit feinen, eine mit dicken.
Nachdem sie im Red Robin zu Mittag gegessen hatten und in ihren vollgepackten Wagen gestiegen waren, surfte Lulu gefährlich auf dem Kamm einer Adrenalin-Woge. Sie redete so viel und so schnell, dass man unmöglich alles mitbekommen konnte. Michael hatte jeglichen Versuch aufgegeben, ihr zu antworten. Jeder Satz begann bei ihr mit: »Wenn Mommy nach Hause kommt …«
»… singen wir ihr ihr Lieblingslied vor. Was ist ihr Lieblingslied, Betsy?«
»… schreien wir ÜBERRASCHUNG !«
»… tanzen wir. Sie liebt tanzen. Ach nein, sie hat ja ihr Bein verliert. Was können wir dann machen?«
»… geben wir ihr Eis.«
Selbst Betsy kam nicht mehr mit.
In Poulsbo holten sie Michaels Mutter vom Grünen Daumen ab. Sie brachte Dutzende von Blumen mit: Rosen, Orchideen und leuchtend gelbe Chrysanthemen. Sie wollte, dass Jolenes Zimmer voller blühender Blumen war.
»Wir haben alles gekriegt, Yia Yia «, erzählte Lulu, als Mila sich auf den Beifahrersitz setzte und die Tür zuzog. »Mommy wird sich ganz doll freuen!«
Mila lächelte. »Sie wird sich schon freuen, wenn sie ihre Mädchen sieht.«
Lulu fing wieder an zu plappern – diesmal übers Malen –, und dann fuhren sie los. Michael durchquerte den Ort, in dem es außerhalb der Saison wieder ruhig geworden war, und bog auf die Küstenstraße ein. Es war später Nachmittag, und die Sonne vergoldete die Bucht.
Kaum waren sie zu Hause angekommen, stürzten sie sich auf die Vorbereitungen. Betsy entrollte das Pergamentpapier und kniete sich davor. Sie ordnete sorgfältig ihre Acrylfarben und begann mit dem Willkommensgruß ihres Spruchbands, über den sie so lange diskutiert hatten. Lulu hatte verlangt, dass das ganze Papier mit Sonnen und rosafarbenen Herzen verziert werden sollte; Betsy wollte Regenbogen und amerikanische Flaggen. Als sie fertig waren, gab es kaum noch eine freie Stelle Papier.
»Was meinst du, Dad?«, fragte Betsy schließlich mit gerunzelter Stirn und betrachtete, immer noch auf Knien, ihr Werk. »Wird ihr das gefallen?«
Es
Weitere Kostenlose Bücher