Zwischen uns das Meer (German Edition)
mit gelben Bändern geschmückt war. Die Flagge auf ihrer Veranda hing an diesem windstillen Abend schlaff am Mast. An einem der Treppenpfosten lagen wie bei einem Grab mehrere Blumensträuße, die schon langsam welk und braun wurden.
Er fuhr in die Garage, blieb aber, nachdem er den Motor ausgeschaltet hatte, allein im Dunkeln sitzen. Schließlich seufzte er und ging ins Haus.
Er fand seine Mutter vor dem Kamin, in dem ein lebhaftes Feuer flackerte. Als er eintrat, sah sie ihn über ihre mit Strass verzierte Lesebrille hinweg an, die sie im Sechserpack in einer Drogerie gekauft hatte. Dann legte sie ihr Buch nieder, stand auf und breitete die Arme aus.
Er ging zu ihr, ließ sich umarmen und merkte erst dann, wie sehr er das gebraucht hatte.
»Erzähl mir alles«, forderte sie ihn auf und ging mit ihm zum Sofa.
Er begann mit: »Ich hätte auf den Arzt warten sollen, aber du kennst ja meine Ungeduld«, und dann erzählte er ihr alles und endete mit: »Sie bat mich, zurückzufliegen und das Haus – und die Mädchen – auf ihre Heimkehr vorzubereiten.«
»Du hättest sie nicht allein lassen dürfen«, sagte seine Mutter.
»Du hast doch gesagt, ich sollte ihr zuhören, dann würde sie mir schon sagen, was sie braucht.«
»Michael«, mahnte seine Mutter kopfschüttelnd.
»Ich weiß.« Seufzend fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. »Sie hat mich rausgeschmissen.«
Seine Mutter gab ein missbilligendes Geräusch von sich, das er sehr gut kannte. »Männer sind so dumm. Tut mir leid, aber so ist es nun mal. Bitte geh heißt nicht, dass sie das wirklich will.«
»Ich kann doch nicht Gedanken lesen.«
»In der Tat.«
»Das kann ich jetzt wirklich nicht brauchen. Ich fühl mich schon mies genug, da musst du es nicht noch schlimmer machen.«
Sie sah ihn an. »Deine Frau ist in Deutschland, verwundet und voller Angst, und du hast sie mit ihrer Trauer um ihren verlorenen Kameraden und ihrer Sorge um ihre beste Freundin allein gelassen. Findest du wirklich, es könnte noch schlimmer werden, Michael?«
»Ich weiß nicht, was ich machen soll, Ma. So was konnte ich noch nie gut.«
»Dann sag ich dir mal, was du jetzt tun sollst, Michael. Du gehst zu deinen Kindern und erzählst ihnen, was mit ihrer Mutter los ist. Dann tröstest du sie, bis sie sich ausgeweint haben, und danach bereitest du die Familie – und dieses Haus – auf die Rückkehr deiner Frau vor. Mach nicht zweimal denselben Fehler. Beim nächsten Mal siehst du Jolene an – und zwar alles von ihr, Michael, auch das, was fehlt – und sagst ihr, dass du sie liebst. Du liebst sie doch, oder?«
»Ja. Aber sie wird es mir nicht glauben. Jetzt nicht mehr.«
»Kein Wunder. Nach dem, wie du dich verhalten hast? Aber dann wirst du halt deinen Stolz ignorieren und sie – und vielleicht auch dich – von deiner Liebe überzeugen. Es wird nicht einfach werden, aber auch das ist gut so.« Sie tätschelte sein Bein. »Und jetzt steh auf und sag deinen Töchtern, dass ihre Mutter aus dem Krieg heimkehrt.«
»Sind sie schon im Bett?«
»Sie warten auf dich.«
Er seufzte, erschöpft von der neuen Last, die ihm jetzt auferlegt worden war. Er gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und ging zur Treppe.
Vor Betsys Zimmer hielt er kurz inne, um Mut zu fassen. Dann klopfte er und trat ein. Die Mädchen saßen auf dem Boden und spielten ein Gesellschaftsspiel.
Michael hockte sich zu ihnen. Lulu kletterte sofort auf seine Knie, schlang ihm die Arme um den Hals und lehnte sich nach hinten, als wären sie beide ein Eislaufpaar bei einer Pirouette. »Hi, Daddy!«
»Wie geht es ihr?«, fragte Betsy vorsichtig.
Lulu hüpfte auf seinem Schoß. »Willst du mit uns Candyland spielen, Daddy?«
»Dad?«, wiederholte Betsy. »Wie geht es Mom?«
Er holte tief Luft. »Sie hat ein Bein verloren.«
Lulu wurde still. »Wo ist es denn?«
»Sie haben’s abgeschnitten, du Dummchen«, sagte Betsy, krabbelte rückwärts und stand auf.
»Was?«, schrie Lulu.
»Betsy«, fauchte Michael. »Du machst deiner Schwester Angst. Lulu, Mommy wird wieder gesund werden, sie hat nur einen Teil ihres Beins verloren. Aber sie wird wieder gehen können, und alles andere auch. Allerdings wird sie eine Weile eure Hilfe brauchen. In drei Tagen kommt sie nach Hause.«
»Mom hat ihr Bein verloren, und Tami liegt im Koma, aber alles wird wieder gut. Alles wird wieder ganz genauso wie früher.« Betsy brach die Stimme. Sie rannte zur Tür und riss sie auf. »Ihr seid Lügner, du und Mom!«, sagte
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