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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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konnte einfach nicht mehr das Positive im Blick behalten oder so tun, als wäre alles in Ordnung. Innerlich war sie erschreckend taub. Das war neu und machte ihr Angst. Vielleicht befürchtete sie, zu viel zu fühlen, von ihren Emotionen überwältigt zu werden und dann nur noch zu weinen und zu schreien.
    Das Flugzeug landete und rollte auf die Halteposition. Die Schwester sagte: »Willkommen in Seattle, Chief. Wir bringen Sie jetzt zu einem Krankenwagen, der mit Ihnen ins Rehazentrum fährt.«
    Jolene wollte ihr danken, aber ihr Puls raste so schnell, dass ihr schwindelig wurde. Sie war noch nicht bereit. Tatsächlich hatte sie Angst, ihre Kinder zu sehen. Was zum Teufel war los mit ihr?
    Ein Major in Uniform erschien neben ihr und steckte ihr einen Orden an. Er sprach mit ihr, sagte Worte, die sie kaum mitbekam. Jemand, der seinen Helikopter hatte abstürzen lassen und dabei ein Crewmitglied verloren hatte, sollte keinen Orden bekommen.
    Sie sagte immer noch nichts, nicht mal: »Danke, Sir.«
    Dann rollte man sie auf einer Trage eine holprige Rampe hinunter auf das Boeing Field, wo mehrere Krankenwagen warteten, um die Patienten in verschiedene Krankenhäuser und Rehabilitationszentren zu bringen. Regen fiel auf ihr Gesicht und machte ihr bewusst, dass sie wieder im Nordwesten war. Sie starrte hinauf in den dicht bewölkten Himmel, und dann war sie im Krankenwagen, neben einem ernsten, jungen Sanitäter, der ihr für ihren Dienst am Land dankte.
    Auf dem Weg zum Rehazentrum war sie wohl eingeschlafen, denn als sie wieder aufwachte, fuhren sie nicht mehr. Jetzt hoben die Sanitäter sie auf den Arm und trugen sie hinüber zu einem Rollstuhl. Vorsichtig setzten sie sie hinein und wickelten sie vom Bauch abwärts in eine Decke.
    Ihre Familie drängte sich am Eingang des Rehazentrums zusammen. Michael und Mila hielten Blumen in der Hand. Selbst aus der Ferne konnte sie sehen, wie Lulu grinsend auf ihren Füßen wippte. Die Mädchen hielten ein Schild in die Höhe, auf der in Blau, umgeben von bunten Glitzerfarben, stand Du hast uns gefehlt.
    Sie liebte ihre Töchter mit jeder Faser ihres Herzens; sie wusste es, wusste es, aber sie spürte es irgendwie nicht. Und diese Empfindungslosigkeit machte ihr mehr Angst als alles andere.
    » MOMMY !«, schrie Lulu und rannte zu ihr. Betsy folgte ihr dichtauf.
    Da stieß Betsy an Jolenes amputiertes Bein. Ein scharfer Schmerz durchzuckte sie, und bevor sie sich bremsen konnte, sagte sie: »Verdammt, Betsy, pass doch auf!«
    Betsy wich mit Tränen in den Augen zurück.
    Jolene biss die Zähne zusammen und atmete flach, bis der Schmerz nachließ. »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich und versuchte vergeblich zu lächeln.
    »Mir auch«, murmelte Betsy verletzt und wütend.
    Lulu war ebenfalls den Tränen nahe. »Mommy?«
    Jolene spürte, wie Erschöpfung sie übermannte. Sie wusste nicht, wie sie die Szene noch mal zurückspulen und von vorn anfangen sollte, wie sie zu ihrem alten, stets lächelnden Selbst zurückfinden sollte. Ihr Bein pochte schmerzhaft.
    Michael trat zu ihr und übernahm den Rollstuhl. »Ma, geh mal mit den Mädchen in Jolenes Zimmer. Wir melden uns an und kommen sofort nach.«
    Mila scheuchte die verwirrten Mädchen ins Gebäude.
    »Danke«, sagte Jolene.
    »Die beiden haben sich wirklich sehr auf dich gefreut.«
    Sie nickte.
    Michael schob sie in eine hell erleuchtete Eingangshalle. Am Empfangstisch stellte er Jolene vor, die unbeholfen lächelte, und unterzeichnete ein paar Formulare. Dann schob er sie durch einen Gang in ein Zimmer, wo ein riesiges Spruchband mit der Aufschrift WILLKOMMEN ZU HAUSE, MOMMY gespannt war. Wohin sie auch blickte, waren Blumen, und jede freie Fläche war von Familienfotos bedeckt. Wieder standen Mila und ihre Töchter zusammen, aber jetzt wirkte ihr Lächeln verunsichert und zögerlich.
    Jolene wollte sie gern beruhigen, aber als sie das Trapez sah, das über ihrem Bett hing, dachte sie: Das ist jetzt mein Leben. Ich brauche Hilfe, um mich aufzusetzen. Da spürte sie wieder die Taubheit in ihrem Innern, die sich immer weiter ausbreitete …
    Komm schon, Jo, lächle, tu so, als wäre alles wie früher … zieh nur die Mundwinkel nach oben, so schwer kann das doch nicht sein.
    Michael fuhr sie ganz nah ans Bett und hielt dann so abrupt, dass sie nach vorn kippte. Er starrte auf ihren von der Decke verhüllten Beinstumpf. »Kannst du allein ins Bett?«
    Noch bevor sie darauf antworten konnte, klopfte es an der offenen Tür. Als

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