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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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nicht aufhören. Guck mal, Tam: kein Bein mehr!
    Am liebsten wäre sie auf die Knie gesunken, aber auch das ging nicht. Eins der vielen Dinge, die nicht mehr gingen. Sie musste ihre gesamte Kraft aufbieten, um nur einfach auf einem Bein dazustehen, wie ein Storch.
    Darüber musste sie noch heftiger lachen. Dann merkte sie, dass sie aufs Klo musste. Aber sie hatte ihre Prothese weggeworfen, ihr Rollstuhl war nicht da und die Krücken auch nicht.
    Fluchend hüpfte sie Richtung Bad und stützte sich dabei an den Möbeln ab. Als sie im Bad angekommen war, sah sie kurz in den Spiegel, wandte aber sofort wieder den Blick ab. Mit zitternden Händen knöpfte sie ihre Jeans auf und schob sie herunter. Erst als es zu spät war, merkte sie, dass sie nicht nah genug an der Toilette stand.
    »Verdammt!«
    Sie hüpfte näher heran, trat dabei aber auf ein Hosenbein und verlor das Gleichgewicht; ihr Knöchel verdrehte sich. Als sie zur Seite kippte, hielt sie sich am Handtuchhalter fest, aber der riss aus der Wand, und sie krachte zu Boden. Dabei stieß sie so heftig mit der Schulter gegen das Waschbecken, dass sie laut aufschrie.
    Einen Moment blieb sie benommen, mit schmerzender Schulter und pochendem Fußgelenk liegen, dann brüllte sie vor lauter Frustration.
    Die Badezimmertür sprang auf. »Jolene?«
    »Hau ab!«
    Michael kniete sich neben sie und berührte ihr Gesicht. »Baby«, sagte er mit seiner sanften Stimme, die sie früher so geliebt hatte – die sie immer noch liebte. Plötzlich fühlte sie sich so einsam und verloren, dass sie es nicht mehr aushielt.
    »Alles in Ordnung?«
    »Sehe ich etwa so aus?«
    »Baby«, sagte er wieder, und da musste sie weinen. Schluchzen. Sie versuchte aufzuhören, die albernen, nutzlosen Tränen zurückzudrängen und stark zu sein.
    Michael nahm sie in die Arme, drückte sie fest an sich und strich ihr übers Haar.
    Jetzt konnte sie nicht mehr aufhören zu weinen. Sie schluchzte heftig schluckend, und ihr Körper wurde davon durchgerüttelt, bis ihr die Nase lief und sie keine Luft mehr bekam. Zuerst weinte sie um Tami, aber dann weinte sie um alles, was sie verloren hatte: um ihre Eltern und um die Familie, die sie als Kind nie gehabt hatte. Um Smitty und ihre verlorene Karriere, um ihr fehlendes Bein und ihre beste Freundin und um ihre Ehe.
    Als sie sich schließlich wieder fassen konnte, fühlte sie sich zittrig und schwach. Sie löste sich von Michael und sah, dass er auch weinte.
    Er lächelte sie unsicher an, und sie merkte, wie gut ihr das tat – wie gut er ihr tat. Alles andere wäre eine Lüge gewesen. »Ich gehe davon aus, dass du aufs Klo musst?«, sagte er.
    Sie musste lachen. Nur sie brachte es fertig, den ersten Nervenzusammenbruch ihres Lebens auf dem Badezimmerflur hinzulegen, mit der Hose an den Fußknöcheln. An dem Fußknöchel. »Ja, genau.«
    Er stand auf, hob sie hoch, als würde sie nichts wiegen, und setzte sie auf die Toilette. Dann streckte er die Hand aus, rollte ein langes Stück Toilettenpapier ab und reichte es ihr zusammengeknüllt als perfekte weiße Rose.
    Sie war schon tausendmal in seiner Gegenwart auf der Toilette gewesen, aber jetzt kam es ihr unangenehm intim vor. Fast wollte sie ihn bitten zu gehen, überlegte es sich dann aber anders, weil sie das, was gerade zwischen ihnen entstand, nicht verderben wollte.
    Als sie fertig war, drückte sie auf die Spülung.
    Er kniete sich vor sie und half ihr, ihre Unterhose hochzuziehen.
    Sie bemerkte, wie er ihren Stumpf mit dem Gelüberzug anstarrte, und spürte, wie ihr flau im Magen wurde. Gleich würde er den Blick abwenden …
    Stattdessen streifte er langsam den Überzug ab. Da war er, der hässliche Stumpf ihres einst so schönen Beins. Michael beugte sich vor und küsste die leuchtend rote Narbe.
    Als er zu ihr aufblickte, sah sie die Liebe in seinen Augen – unleugbar. Er hatte sich wieder in sie verliebt, so unwahrscheinlich das auch war. Aber das wusste sie doch schon seit dem Tag im Gericht, oder nicht? Sie hatte es gewusst und Angst davor gehabt.
    »Du weißt es, nicht wahr?«
    Sie nickte.
    »Dann sag jetzt nichts«, flüsterte er, hob sie auf seine Arme und trug sie aus dem Bad. Sie erwartete, dass er sie auf ihrem Bett absetzen würde, aber er ging aus dem Zimmer und dann die Treppe hinauf.
    »Wohin bringst du mich?«
    »In unser Bett«, antwortete er und brachte sie Stufe um Stufe hinauf.
    Sie klammerte sich an ihn. Den gesamten Weg zum Schlafzimmer fielen ihr Gründe ein, warum es jetzt keine

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