Zwischen uns das Meer (German Edition)
Arschloch, ich hab dir das Herz gebrochen und vielleicht sogar unsere Ehe zerstört. Vielleicht habe ich das tatsächlich. Aber ich habe mich verändert, Jo. Doch das scheint dir vollkommen egal zu sein. Ich habe es satt, gegen die Mauern anzurennen, die du um dich herum errichtet hast. Ich kriege von dir gar nichts zurück. Auch unseren Kindern gibst du gar nichts. Rein gar nichts. Dabei weißt du doch, wie es ist: gar nichts von seinen Eltern zu kriegen, nicht wahr, Jo? Wenn diese Familie jetzt auseinanderbricht und wir alle vor die Hunde gehen, dann liegt das an dir. Ganz allein an dir, Jo. Denn mehr habe ich nicht mehr zu geben.«
Sie blickte ihn mit Tränen in den Augen an. »Meinst du vielleicht, das wüsste ich nicht?«
»Gib mir ein Zeichen«, bat er mit brechender Stimme. »Irgendwas.« Ihre Tränen hatten ihm den Wind aus den Segeln genommen, die Flammen der Wut in ihm gelöscht. Jetzt spürte er nur noch Erschütterung und Kälte. »Fass mich an. Sprich mit mir. Sei wieder meine Frau.«
»Das kann ich nicht.«
»Also war’s das … nach all dem, was wir gemeinsam erlebt haben.«
Sie wandte sich von ihm ab und zog die Decke über sich.
Er sah sie unschlüssig an und fühlte sich so einsam und verloren wie noch nie in seinem Leben. Es war noch schlimmer als am Grab seines Vaters. Erst jetzt erkannte er, spürte es bis ins Mark, dass Jolene sein Leben war.
Hinter ihm klopfte es. Er sagte zwar nichts, aber die Tür ging trotzdem auf. Lulu erschien mit tränenüberströmtem Gesicht. »Ich hab Angst, Daddy«, sagte sie.
Seufzend ging er zu ihr und nahm sie in die Arme. »Ist schon gut, Lulu«, log er, verließ Jolenes Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
A CHTUNDZWANZIG
Am nächsten Tag war Carls Abschiedsfeier von Tami für die Familie und den engsten Freundeskreis.
Den ganzen Tag war Jolene nervös und gereizt gewesen. Sie hatte ihre Kinder angeschnauzt und war bei jeder Gelegenheit in Tränen ausgebrochen. Der Streit mit Michael hatte ihr den Rest gegeben. Nur mit äußerster Willensanspannung konnte sie ihre Gefühle einigermaßen unter Kontrolle halten. Sie hatte hämmernde Kopfschmerzen. Ihre Hände zitterten, obwohl sie schon zwei Gläser Wein intus hatte. Um drei Uhr hätte sie bei Tamis Haus sein, den Tisch decken und alles für die Feier vorbereiten müssen. In Zeiten wie diesen war es die Aufgabe der besten Freundin, dem Ehemann zu helfen.
Aber Jolene hatte nicht die Kraft dazu. Sie hatte nichts zu geben, weil sie innerlich so leer war, dass jeder Blick in den Spiegel sie überraschte: Wieso schienen noch nicht ihre Venen durch ihre blasse Haut, wieso konnte man noch nicht ihre Knochen sehen?
Um sieben klopfte Michael bei ihr, kam herein und schloss die Tür hinter sich.
Sie saß, mit Jeans, weißer Bluse und noch feuchten Haaren, auf dem Bett. Er sah ihr an, dass sie geweint hatte, das merkte sie an seiner Miene.
»Du musst das nicht tun, wenn es dir zu viel ist«, sagte er müde, mied aber ihren Blick. Sie bemerkte, wie sehr sie ihn verletzt und gekränkt hatte, und schämte sich. Ihr fiel der Brief wieder ein, den sie vor ihrer Abreise in den Irak an ihn geschrieben hatte. Ich hab dich vom Anfang bis zum Ende geliebt .
»Doch, ich muss.« Mühsam stand sie auf.
Sofort war er bei ihr und stützte sie. Als sie seine Berührung spürte, empfand sie wieder ihren Verlust. War es erst ein paar Wochen her, seit er sie geküsst hatte? Dass sie wieder Hoffnung bekommen und sich wieder in ihn verliebt hatte? Das alles war so weit weg von ihr, fühlte sich an wie Erinnerungen aus einer anderen Welt.
Er ließ sie nicht los, als sie ins Familienzimmer gingen, wo Mila und die Mädchen schon warteten. Mila und Betsy hielten abgedeckte Schüsseln in der Hand. Ich hätte was zu essen machen sollen, dachte Jolene.
Tamis siebenlagigen Dip. Den liebte sie …
Fast wäre sie getaumelt, aber Michael hielt sie fest. Sie verließen das Haus und durchquerten den Garten. Der kalte Novembertag neigte sich schon dem Ende zu. Bald würde der erste Frost Zaun und Rasen mit Raureif überziehen.
Michael öffnete das Gartentor. Dann marschierten sie über die bucklige Rasenfläche und die Schottereinfahrt der Flynns. Am Haus standen schon Dutzende von Autos und Trucks. Alle Fenster waren hell erleuchtet.
Ich liebe Partys.
Sie hörte Tamis Stimme, ihr kehliges Lachen … oder war das der Wind in den Zedern?
Seth begrüßte sie an der Haustür; er wirkte, als fühlte er sich genauso zittrig und benommen
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