Zwischen uns das Meer (German Edition)
Ihnen.«
Immer noch nichts.
In der Hoffnung auf irgendeine Reaktion wartete er noch einen Moment. Als nichts kam, stand er auf und sammelte seine Unterlagen zusammen. »Ich bin auf Ihrer Seite, Keith. Vergessen Sie das nicht.«
Er steckte die Akte in seine Tasche, schloss diese, packte sie am Griff und ging zur Tür. Er wollte gerade die Wache rufen, als Keith etwas sagte.
»Wozu die Mühe? Ich bin schuldig.«
Michael blieb stehen. Von allem, was der Junge hätte sagen können, war dies das Schlimmste. Als Verteidiger wollte man genau das im Grunde nicht wissen, weil es die Verteidigungsstrategien einschränkte. Langsam drehte er sich um und erwartete, dass Keith ihn ansah, aber der Junge starrte auf seine Hände, als läge das Geheimnis der Unsterblichkeit in seinen schmutzigen Fingernägeln. »Was meinen Sie mit ›schuldig‹ …«
»Ich habe sie in den Kopf geschossen.« Keith brach die Stimme. Er sah auf. Der Anblick von Trauer war Michael vertraut, und jetzt sah er sie in den Augen des jungen Mannes. »Wieso sollten Sie auf meiner Seite sein?«
Mist.
Jetzt musste er erklären, was es mit der Beziehung zwischen Klient und Verteidiger auf sich hatte und wie die amerikanische Rechtsprechung funktionierte. Die ganze Sache mit unschuldig bis zum Beweis der Schuld. Wieder blickte er auf seine Uhr. 13.37 Uhr. Auf gar keinen Fall würde er es bis zum Anfang des Wettkampfs schaffen, aber er konnte ja auch etwas später kommen, oder nicht?
Er ging zurück zum Tisch, setzte sich und holte Block und Stift aus seiner Aktentasche. »Ich will Ihnen erklären, wie es ablaufen wird …«
Um zwanzig nach zwei hielt Jolene vor dem Grünen Daumen, dem Geschäft ihrer Schwiegermutter, und brachte Lulu hinein.
Über der Tür klingelte fröhlich ein Glöckchen. Der kleine, schmale Laden – früher ein altmodischer Drugstore mit Wasserspender – war eine Schatzkiste für Gärtner. Mila, Michaels Mutter, hatte den Laden – nur zum Spaß – zehn Jahre zuvor eröffnet, aber seit Theos Tod war er ihre Zuflucht geworden. Sie hatte ein ausgeprägtes Arbeitsethos, genau wie ihr Sohn, und verbrachte in letzter Zeit ganze Tage hier.
» Yia Yia! «, rief Lulu und riss sich von Jolene los. Mit der üblichen Begeisterung stürzte sie in den Laden. »Wo bist du?«
Mila schob sich durch den glitzernden Glasperlenvorhang des Hinterzimmers. »Hab ich da meine Enkelin gehört?«
»Hier bin ich, Yia Yia !«, krähte Lulu.
Mila trug ihre übliche Arbeitskluft: ein überlanges T-Shirt, eine grüne Leinenschürze (um ihren Umfang zu kaschieren) und Jeans, deren Beine in orangefarbenen Gummistiefeln steckten. Sie war stark geschminkt, was die dramatische Schönheit ihres Gesichts nur noch betonte: geschwungene, pechschwarze Augenbrauen, funkelnde braune Augen und volle Lippen, die gern lächelten. Ihr Aussehen war so griechisch wie ihr Name, und sie verwöhnte ihre Enkel ebenso wie früher ihren Sohn. Außerdem war sie für Jolene die Mutter, die sie nie gehabt hatte.
Als junge Mutter hatte Jolene stundenlang neben ihrer Schwiegermutter auf der Erde gekniet. Zuerst hatte sie gedacht, sie würde nur etwas darüber lernen, was Unkraut war, wie Pflanzen am besten Wurzeln schlugen und wie viel Sonnenlicht für das Wachstum der Pflanzen nötig war; nach und nach jedoch hatte sie gemerkt, dass ihre Schwiegermutter ihr auch etwas über das Leben, die Liebe und die Familie beibrachte. Als Jolene und Michael sich irgendwann ein Haus kaufen wollten, um ihre eigene Familie zu gründen, war vollkommen klar gewesen, wo es stehen sollte. Für Jolene war dieser Ort zur Heimat geworden, als Mila sie zum ersten Mal sah, sie umarmte und ihr zuflüsterte: »Du bist die Richtige für ihn, aber das weißt du, nicht wahr?«
»Hallo, Lucy Louida«, begrüßte Mila ihre Enkelin, hob sie mit ihren starken Armen hoch und setzte sie neben die Kasse auf die Verkaufstheke.
»Hi, Yia Yia «, sagte Lulu grinsend. »Willst du Backe-backe-Kuchen spielen?«
»Nicht jetzt, kardia mou. «
Jolene trat zu ihrer Schwiegermutter und umarmte sie. So lange sie lebte, würde sie den Duft von Shalimar mit dieser Frau verbinden.
Mila schmiegte sich in ihre Arme. Ihr schwarz gefärbtes Haar – das sie hochgetürmt trug – kitzelte Jolene an der Wange. Dann klatschte sie ihre dicklichen Hände zusammen. »Jetzt ist es Zeit zu sehen, wie meine Enkelin so schnell wie der Wind rennt. Ich bin fertig.« Sie gab dem älteren Mann, der bei ihr aushalf, noch ein paar Anweisungen, und
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