Zwischen uns das Meer (German Edition)
bei Betsy neuerdings alles. Sie wollte unbedingt so sein wie sie. Offenbar war eine Mutter, die Helikopterpilotin bei der Army National Guard war, sehr kompromittierend.
Als Betsy sich ihren Freundinnen näherte, ignorierten diese sie absichtlich und wandten ihr gleichzeitig den Rücken zu wie ein Fischschwarm, der vor der Gefahr flieht.
Jolene umklammerte fester das Lenkrad und fluchte leise.
Betsy wirkte peinlich berührt und niedergeschlagen. Ihre Schultern sackten nach vorn, ihr Kinn senkte sich. Sie zog sich schnell zurück, um so zu überspielen, dass sie zu ihren ehemaligen besten Freundinnen gerannt war. Allein ging sie zum Schulgebäude.
Jolene rührte sich so lange nicht vom Fleck, bis jemand sie anhupte. Sie litt mit ihrer Tochter. Zurückweisung war etwas, was sie nur zu gut kannte. Sie hatte ewig darauf gewartet, von ihren Eltern geliebt zu werden. Sie musste Betsy beibringen, stark zu sein und sich für das Glück zu entscheiden. Wenn man es nicht zuließ, konnte niemand einem weh tun. Angriff war die beste Verteidigung.
Schließlich fuhr sie weiter. Um dem Berufsverkehr auszuweichen, wählte sie nur Landstraßen zur Liberty Bay. An der Einfahrt neben ihrer eigenen bog sie ein, fuhr zum Nachbarhaus hinauf – einem kleinen weißen Fertighaus mit angrenzender Autowerkstatt – und hupte.
Sofort kam Tami Flynn, ihre beste Freundin, heraus. Auch sie trug bereits ihre Fliegeruniform und hatte die langen schwarzen Haare streng aus dem Gesicht frisiert. Jolene hätte schwören können, dass nicht ein einziges Fältchen die kaffeefarbene Haut von Tamis flächigem Gesicht kräuselte. Tami behauptete, das läge an ihrer indianischen Herkunft.
Sie war die Schwester, die Jolene nie gehabt hatte. Sie hatten sich als Teenager kennengelernt – zwei Achtzehnjährige, die zur Army gegangen waren, weil sie nicht wussten, was sie sonst mit ihrem Leben anfangen sollten. Beide hatten sich auf der High School für die Ausbildung zum Helikopterpiloten qualifiziert.
Ihre Leidenschaft fürs Fliegen hatte sie zusammengebracht, eine ähnliche Sicht auf die Dinge hatte für eine Freundschaft gesorgt, die nie infrage gestellt wurde. Sie hatten zuerst zehn Jahre gemeinsam in der Army gedient und waren dann, als Ehe und Mutterschaft den aktiven Dienst schwierig machten, zur Guard gewechselt. Vier Jahre, nachdem Jolene und Michael in das Haus an der Liberty Bay gezogen waren, hatten Tami und Carl das Nachbargrundstück gekauft.
Tami und Jolene waren gleichzeitig schwanger geworden, hatten die magischen neun Monate zusammen durchlebt und durchlitten. Da ihre Männer nichts gemeinsam hatten, verreisten ihre Familien zwar nicht zusammen, aber das war für Jolene kein Problem. Für sie zählte vor allem, dass Tami und sie immer füreinander da waren. Und so war es auch.
I’ve got your six hieß wörtlich übersetzt, dass ein Helikopter hinter einem flog. Aber eigentlich bedeutete es: Ich bin für dich da. Ich gebe dir Rückendeckung. Genau das war es, was Jolene in der Army, bei der Guard und bei Tami gefunden hatte. Rückendeckung.
Die Guard hatte ihnen das Beste aus zwei Welten geboten: Sie konnten sich ganz ihren Kindern widmen und gleichzeitig beim Militär bleiben, ihrem Land dienen und Helikopter fliegen. Mindestens zwei Vormittage pro Woche und während der Trainings-Wochenenden flogen sie gemeinsam. Es war der beste Teilzeitjob der Welt.
Tami stieg auf den Beifahrersitz und knallte die Tür hinter sich zu. »Herzlichen Glückwunsch, Flygirl .«
»Danke«, antwortete Jolene lächelnd. »Da es mein Tag ist, such ich die Musik aus.« Sie schaltete den CD -Spieler ein, worauf Purple Rain von Prince aus den Lautsprechern dröhnte.
Auf dem Weg nach Tacoma unterhielten sie sich über alles Mögliche, und dazwischen sangen sie zur Musik ihrer Jugend mit: Prince, Madonna und Michael Jackson. Sie fuhren am Camp Murray, dem Sitz der Nationalgarde, vorbei und bogen bei Fort Lewis ab, wo die Luftstreitkräfte der Guard untergebracht waren.
Jolene holte die schwere Flugtasche mit dem Notfallequipment aus dem Schließfach und warf sie sich über die Schulter. Dann folgte sie Tami zum Empfang, bestätigte, dass sie ihr Zusatztraining, kurz AFTP , absolviert hatte, quittierte ihr Gehalt und setzte sich, während sie aus dem Hangar strebte, ihren Helm auf.
Die Crew war bereits da und bereitete den Black Hawk für den Flug vor. Vor dem strahlend blauen Himmel sah der Helikopter aus wie ein riesiger Raubvogel. Sie nickte dem Chef
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