Zwischen uns das Meer (German Edition)
und auf ihre Rückkehr warten würde; dass sie noch einen Ehemann hatte, wenn sie nach Hause kam.
»Los, kommt schon«, sagte Jolene noch einmal. »Gehen wir ins Crab Pot essen.«
Nur Lulu jubelte.
»Es ist zu kalt«, entgegnete Betsy, zappte sich durch die Songs auf ihrem iPod und steckte sich die Kopfhörer in die Ohren. »Man geht nur im Sommer ins Pot. Jetzt sind da nur alte Leute.«
Michael richtete die Fernbedienung auf den Fernseher und zappte sich durch die Kanäle. Im darauf eintretenden Schweigen zuckte er mit den Schultern.
Das reichte Jolene als Zustimmung. »Perfekt. Also abgemacht. Holt eure Mäntel. Es könnte kalt werden.« Die nächsten zehn Minuten sorgte sie dafür, dass ihre Familie alles Nötige mitnahm: Mäntel, Stiefel, Decken. Für alle Fälle packte sie vier Strandliegen in den Wagen, und kurz darauf fuhren sie schon über die gewundene Küstenstraße.
Das Crab Pot war im Ort eine Institution. Das kleine Schindelhaus war fünfzig Jahre zuvor von einem norwegischen Fischer auf einer kleinen Landzunge zwischen Straße und Strand gebaut worden. Es war von einer verwitterten Holzterrasse umgeben, auf dem Picknicktische standen. Das Terrassengeländer war mit Fischernetzen und Lichterketten geschmückt. Im Sommer bedeckten rot-weiße Plastikdecken die Tische, aber außerhalb der Saison, wenn nur Einheimische hier vorbeikamen, blieben sie nackt.
Drinnen war der unebene Boden mit einer dicken Schicht Sand bedeckt, der angeblich von der unberührten Küste bei Kalaloch stammte. Die Holzwände verschwanden fast vollständig unter einem Sammelsurium aus Andenken: Bildern, abgelaufenen Anglerscheinen, Dollarnoten. Jeder konnte nach Belieben etwas an die Wand heften. Es gab sogar ein paar BHs und Schlüpfer zwischen den Postkarten.
Lulu wusste ganz genau, wohin sie als Erstes gehen wollte. Sie marschierte ins Diner, als gehörte es ihr, ging direkt zum Fenster an der Kasse und zeigte nach oben. »Das sind wir«, sagte sie zu niemand Bestimmtem. Es waren nur ein paar Stammgäste da, doch keiner von ihnen blickte auf.
Die Kellnerin, eine weißhaarige Frau, die schon seit Urzeiten hier arbeitete, erwiderte: »Na klar, Lulu. Das ist auch mein Lieblingsfoto von dir.«
Lulu strahlte.
Die Kellnerin – Inga – führte sie zu einem Tisch an der Tür. »Wollt ihr das Übliche?«, fragte sie und zog einen Stift aus ihrem Haar. Das war nur Show; noch nie hatte man gesehen, dass Inga tatsächlich etwas notierte.
»Darauf kannst du wetten«, antwortete Jolene mit bemüht munterer Stimme. »Zweimal Krebse, viermal Butterschmalz und zweimal Knoblauchbrot.«
Sie nahmen ihre Plätze auf den Doppelbänken ein: Michael und Betsy auf einer und Lulu und Jolene auf der anderen Seite. Während des Essens versuchte Jolene, das Gespräch aufrechtzuerhalten, doch ehrlich gesagt, war sie vollkommen mutlos, als sie ihre Plastiklätzchen abnahmen. Eigentlich hatten nur sie und Lulu etwas zur Unterhaltung beigetragen. Michael und Betsy hatten sich damit begnügt, mit den Schultern zu zucken oder etwas Unverständliches zu knurren. Sie waren beide unglücklich, weil es ihr letzter Abend war, und sie wollten, dass Jolene das mitbekam. Zumindest dachte Jolene sich das. Michael bezahlte gerade, als die Flynns ins Diner kamen.
»Na super.« Betsy sank auf ihrer Bank zusammen und ließ sich die Haare vors Gesicht fallen.
»Tami!« Jolene stand auf, trat um den Tisch herum und drückte ihre Freundin fest an sich. Sie hätte wissen müssen, dass sie heute alle zusammen hier auftauchen würden. Als sie sich von Tami löste, sagte sie lächelnd: »Foto!«
Sofort lehnten Tami, Seth und Carl sich aneinander und setzten ein strahlendes Lächeln auf. Jolene hielt ihr Bild mit der klobigen, alten Polaroidkamera fest, die das Crab Pot den Gästen zur Verfügung stellte. Auch das war Tradition: Bei jedem Besuch wurde ein neues Familienfoto an die Wand geheftet. »Alles klar«, sagte sie. Die Flynns drängten sich um sie und sahen zu, wie sich das Foto entwickelte. Als es fertig war – und es war ein gutes Foto –, heftete Carl es neben der Tür an die Wand.
»Jetzt seid ihr dran.« Tami nahm Jolene die Polaroid aus der Hand.
Jolene versammelte ihre Familie um sich und legte den Arm um Betsy (wie dünn ihre Tochter jetzt war, fast schlaksig) und Lulu (ihr Baby). Michael stellte sich hinter sie. Als Tami Cheese rief, lächelten sie.
Klick.
Dann lösten sich Betsy und Michael von der Gruppe und gingen hinaus. Jolene sah ihnen
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