Zwischen uns das Meer (German Edition)
sein würde.
»Komm her, Lucy Lou.« Jolene hob ihre Tochter hoch. »Es ist Zeit für deine Badewanne.«
Sie trug sie nach oben, ließ sie ausgiebig baden und machte sie dann bettfertig.
Als sie überlegte, welche Gutenachtgeschichte sie für den letzten Abend nehmen sollte, kletterte Lulu noch einmal aus dem Bett, setzte sich ihren alten Haarreif mit den Katzenohren auf und ging wieder ins Bett.
Also wollte Lulu spielen. Jolene wandte sich zum Bett und hielt plötzlich inne. »O nein. Lulu, wo bist du? Haben dich die Feen entführt?«
Lulu gab einen Laut von sich und schlug sich die Hand vor den Mund.
»War das der Wind?« Jolene ging zum Fenster und öffnete es. »Lulu, bist du da draußen?«
Lulu riss sich den Haarreif vom Kopf und brach in Tränen aus. »Ich will unsichbär bleiben, bis du wieder da bist.«
»Ach, Lulu«, sagte Jolene, kletterte in Lulus schmales Bett und nahm ihre Kleine in den Arm.
»Wer sucht mich denn, wenn du weg bist?«
Jolene zog sie noch enger an sich und dachte an all das, was sie verpassen würde.
Lulu würde in die Vorschule kommen, mit dem Bus fahren und neue Freunde finden, ohne Jolene an ihrer Seite. »Ich hab dich lieb, Lucy Louida. Vergiss das nicht, ja?«
»Nein, tue ich nicht.« Lulu kuschelte sich in ihre Decke und schloss die Augen. Minuten später war sie bereits eingeschlafen.
Jolene gab ihr noch einen Kuss auf die Wange und ging aus dem Zimmer. Dabei nahm sie sich eine von Lulus gelben Plastikhaarspangen von ihrer Kommode und steckte sie ein.
Als sie wieder nach unten ging, fiel ihr auf, wie still es im Haus war.
»Michael?«
Keine Antwort. Sie ging von Zimmer zu Zimmer, fand ihn aber nirgendwo. Sein Wagen stand jedoch in der Garage. Schließlich bemerkte sie draußen eine Bewegung.
Sie blieb am Küchenfenster stehen und sah nach draußen. Das Mondlicht fiel auf eine Gestalt am Anleger.
Sie schlüpfte in ein Paar Stiefel, die immer an der Garderobe standen. Dann zog sie den Reißverschluss ihrer Kapuzenjacke zu, verließ das Haus und ging am Zaun entlang zur Straße.
Auf der anderen Seite stieg sie die Holztreppe zu ihrem Anleger hinunter. Der Vollmond spendete ihr Licht. Irgendwo trat sie auf etwas, das laut knackte.
»Hast du mich also gefunden«, sagte Michael und setzte eine Flasche an die Lippen.
Jolene nahm neben ihm Platz. Er hatte Feuer im Korb gemacht, und die Wärme drang bis zu ihr.
»Du wirst mir jetzt sicher sagen, dass es keine gute Idee ist, sich zu betrinken.«
Jolene seufzte. Wie war es so weit mit ihnen gekommen? Und wie sollten sie einen Weg zurück finden?
Das würde nicht geschehen.
Sie streckte die Hand aus, fragte »Darf ich?«, nahm die Flasche und trank einen Schluck von dem bitteren Scotch. Er brannte ihr in der Kehle.
»Du musst aufgewühlt sein«, sagte er.
Sie nickte. Normalerweise rührte sie keinen Alkohol an, einerseits wegen ihrer familiären Vorbelastung, andererseits aus beruflichen Gründen. Trunkenheit am Steuer würde sie nicht nur ihren Führerschein, sondern auch ihren Flugschein kosten, und das konnte sie nicht riskieren. »Ich bin auch ein Mensch mit Gefühlen, Michael. Eigentlich ist es sogar eine gute Idee, sich zu betrinken.«
»Ich hab Angst, Jo«, flüsterte er. »Ich weiß nicht, ob ich damit klarkomme.«
Sie wartete, ob er noch etwas sagen oder gar die Hand nach ihr ausstrecken würde. Als nichts kam, schaute sie ihn an.
Das Mondlicht verschärfte die Konturen seines Gesichts. Er wirkte kalt und distanziert. Sie sah, dass er missbilligend die Lippen zusammenpresste, als würde er die Fassung verlieren, wenn er sich auch nur im Geringsten entspannte. Es widerstrebte ihr zutiefst, ihn jetzt, wo ihre Ehe in der Krise steckte, zu verlassen. Sie brauchte den Glauben daran, dass er sie immer noch liebte. Oder dass er sie wieder lieben konnte.
»Sieh mich an«, bat sie.
Er trank noch einen Schluck vom Scotch und wandte sich zu ihr.
Sie saßen nah genug beieinander, um sich zu küssen; die kleinste Bewegung von ihnen hätte ausgereicht, aber keiner von beiden beugte sich zu dem anderen.
»Pass auf dich auf, da drüben, Jo«, bat er und sah sie unverwandt an.
In diesem einen Satz hörte sie Fürsorge, die sie bei ihm schon abgeschrieben hatte, und plötzlich verspürte sie einen Anflug von Hoffnung. Vielleicht konnten sie ihre Krise überwinden, vielleicht würde ein perfekter Augenblick sie wieder auf Spur bringen. Sie brauchte ihn jetzt so sehr, dass sie es kaum ertragen konnte; sie musste seine
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