Zwischen uns das Meer (German Edition)
Liebe mitnehmen.
Langsam legte sie ihm die Hand auf den Nacken, zog ihn zu sich und küsste ihn, aber selbst, als ihr Herz schneller zu schlagen begann und Leidenschaft in ihr aufflammte, spürte sie, wie er sich zurückhielt. Es war, als küsste man einen Fremden.
Gedemütigt zog sie sich zurück. »Pass gut auf meine Babys auf«, flüsterte sie.
Aber er trank schon wieder und starrte auf die heranströmenden Wellen.
»Sehr bedauerlich, dass du meinst, das müsstest du mir noch sagen«, bemerkte er.
Da stand sie auf und ging allein ins Haus zurück.
N EUN
Als Michael aufwachte, war er allein. Irgendwann weit vor Tagesanbruch hatte er gehört, wie Jolene aufwachte und das Bett verließ. Ohne Licht zu machen, hatte sie ihre Uniform angezogen, ihren Matchsack geschnappt, das Zimmer verlassen und leise die Tür hinter sich geschlossen. Er hatte so getan, als schliefe er.
Später hörte er draußen jemanden hupen; Tami kam Jolene abholen.
Danach hatte Michael allein im Bett gelegen. Er hatte schon gedacht, er würde nicht mehr einschlafen, aber irgendwie war er doch eingenickt und Stunden später davon aufgewacht, dass der Wecker neben seinem Bett piepte.
Jetzt war der große Tag gekommen. Er weckte die Mädchen und duschte dann lange und kochend heiß.
Er hatte keine Ahnung, was er zur Einberufungszeremonie anziehen sollte, also entschied er sich für eine anthrazitfarbene Hose mit passendem Kaschmirpullover, aber als er sich im Spiegel betrachtete, sah er einen Fremden. Seine dunklen Augen hatten einen gequälten Blick, und die Schatten darunter zeugten davon, dass er seit Wochen nicht gut geschlafen hatte.
»Dad?« Betsy erschien mit weißen knielangen Leggings, Ugg-Boots und einem langen rosafarbenen Pullover, der an der Taille von einem breiten Silbergürtel gehalten wurde. Ihre langen blonden Haare fielen ihr in Ringellöckchen auf den Rücken.
Sie sah aus, als wollte sie für einen Disneyfilm vorsprechen, wo alle ständig ein Liedchen anstimmen.
»Willst du das wirklich anziehen?«, fragte Michael.
»Du hast mir nicht zu sagen, was ich anziehe.«
»Wieso nicht? Ich bin dein Vater.«
Betsy verdrehte die Augen. »Ich wollte dir nur sagen, dass Lulu nicht mitkommt.«
»Was soll das heißen? Sie ist erst vier.«
»Ich weiß, wie alt sie ist, Dad. Ich hab nur gesagt, sie kommt nicht mit. Und sie trägt wieder den Haarreif.«
Michael hatte keine Ahnung, warum sie das erwähnte. »Schön.« Er seufzte – er war bereits erschöpft, dabei zeigte die Uhr erst elf. »Komm mit«, sagte er zu Betsy und ging durch den Flur.
In Lulus Zimmer sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Überall lagen Spielzeuge und Kleider; das gesamte Bettzeug war vom Bett geworfen worden und lag in einem großen Haufen auf dem Boden.
Lulu saß in ihrem angeschmuddelten Halloweenkostüm in einer Ecke und hatte die mageren Beine an die Brust gezogen. Ihre Augen waren rot und verschwollen vom Weinen, und auf ihren Wangen zeigten sich hektische Flecken.
Michael blickte auf seine Uhr. Sie waren spät dran. »Steh auf, Lulu. Für so was haben wir keine Zeit. Wir müssen uns von eurer Mom verabschieden.«
Als er die Hand nach ihr ausstreckte, schrie sie: »Du kannst mich nicht sehen!«
Michael runzelte die Stirn.
Betsy packte ihn am Handgelenk. »Wenn sie den Haarreif trägt, ist sie unsichtbar.«
»Ach du lieber …«
»Lulu«, sagte Betsy in schmeichelndem Ton, »wo bist du denn? Wir müssen los.«
Lulu antwortete nicht.
Mittlerweile fühlte sich Michael völlig überfordert, dabei war Jolene noch nicht mal fort.
»Ich weiß, dass Lulu Angst hat, weil Mommy weggeht, aber Mommy braucht unsere Küsse, damit sie geschützt ist«, erklärte Betsy.
Da brach Lulu in Tränen aus. Sie nahm den Haarreif ab und stand auf. »Ich will nicht, dass sie weggeht. Ist sie zum Abendessen wieder da?«
Betsy nahm ihre Schwester bei der Hand. »Nein.«
»An meinem Geburtstag?«, fragte Lulu hoffnungsvoll und umklammerte den alten Haarreif mit den Katzenohren. Das hatte sie mindestens schon fünfzigmal gefragt.
»Komm schon«, bat Michael müde. »Wir müssen dich noch umziehen, Lulu.«
»Nein!«, schrie sie und wich vor ihm zurück. »Ich will mein Kätzchen-Kostüm!«
»Lass sie, Dad. Glaub mir, das ist besser«, sagte Betsy.
»Schön«, seufzte Michael. Er nahm Lulu auf den Arm, dann gingen sie gemeinsam zum Wagen.
In unbehaglichem, lastendem Schweigen fuhren sie los.
Als Michaels Mutter zustieg, versuchte sie, die Stille
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