Zwischen uns das Meer (German Edition)
nickte, stieg auf den linken Sitz und schnallte sich an. Sie befestigte das Nachtsichtgerät an ihrem Helm und rückte es zurecht.
Knapp fünf Minuten später flogen sie los, hielten sich aber dicht unter der Wolkendecke.
Es war ein Einsatz für zwei Helikopter. Zusammen und immer in Funkverbindung flogen sie über die schwarze Wüste, über Bagdad hinweg in die Provinz Al Anbar, an Fallujah vorbei.
Als sie von Norden an Fallujahs Flughafen vorüberkamen, hörten sie erste Maschinengewehrsalven. Aber das Taptaptap auf dem Rumpf zeigte an, dass es nur ein kleines Geschütz war.
»Raptor Acht-Neun unter Beschuss, links, zweihundert Meter entfernt«, meldete Jolene über Funk. Der andere Hubschrauber reagierte sofort.
»Raptor Vier-Zwei, Beschuss von links, schwenkt nach rechts.«
Sie überflogen ein kleines Dorf. Auf einem Flachdach war ein Maschinengewehr aufgebaut und schoss auf sie.
Jolene überflog das Gebiet unter ihr; mit ihrem Nachtsichtgerät sah sie Dutzende grünweißer Punkte, die sich durch die Dunkelheit bewegten. Waren das die festsitzenden Soldaten oder Aufständische, die nach ihnen suchten? Als sie einen Schalter umlegte, explodierte alles um sie herum.
Eine RPG traf den Rumpf so heftig, dass sie zur Seite geschleudert wurde; ihr rechter Fuß trat gegen die Instrumentenanzeigen.
Das Cockpit füllte sich mit Rauch. Flammen loderten im hinteren Teil des Hubschraubers, Jolene spürte die Hitze. Sie rief nach ihrer Crew, bekam aber keine Antwort. Sie umklammerte den Steuerknüppel und versuchte, sie in der Luft zu halten, aber sie fielen, stürzten mit knapp zweihundert Stundenkilometern zur Erde.
Motor Nummer zwei spielte verrückt; die Instrumentenanzeigen fielen aus. Nichts. Nicht mal mehr die Temperatur des Motors.
Sie rief wieder nach ihrer Crew, um sie vor dem drohenden Aufprall zu warnen, dann versuchte sie, ein Mayday-Notsignal abzugeben, aber der dichte Rauch nahm ihr den Atem. Sie brachte nur noch »Mayday« heraus, dann schlugen sie auf.
Nach einem langen Tag mit Befragungen der Polizisten, die Keith Keller verhört hatten, kam Michael todmüde nach Hause und machte Essen für seine Kinder – eines von Jolenes Hühnchen-mit-Reis-Rezepten, die er in einem prall gefüllten Ringbuch gefunden hatte. Später, als die Mädchen bereits schliefen, ging er ins leere Familienzimmer, blieb mitten im Raum stehen und bemerkte, wie still es im Haus war.
Ein seltsames Gefühl regte sich in ihm, so unvertraut, dass er es erst nach einer Weile identifizieren konnte. Einsamkeit.
So lange hatte er nur seine Wut gespürt, in die Mutterrolle gedrängt worden zu sein, hatte sich entmannt gefühlt, weil er plötzlich allein verantwortlich für die Kinder, das Kochen und das Einkaufen war. Er hatte es Jolene übelgenommen, weil sie ihn in einem Meer von Pflichten allein gelassen hatte, die er nicht übernehmen wollte oder auch nur konnte. Aber das hatte sich in den letzten Wochen verändert. Er hatte sich verändert. Er hatte eine neue Seite an sich entdeckt; er genoss es, Lulu vor dem Schlafengehen vorzulesen, ihre komischen Fragen zu den Geschichten zu hören und zu sehen, wie sie mit ihren kleinen Fingern auf die Bilder zeigte. Er genoss es, wenn Betsy abends mit ihm zusammensaß, fernsah und ihm Geschichten von der Schule erzählte. Er fand es toll, dass sie gemeinsam einkauften, gemeinsam im Haushalt arbeiteten, als Team, und gemeinsam bei einem Gesellschaftsspiel lachten.
Er vermisste Jolene. Wieso hatte er nicht geahnt, wie sein Leben ohne sie aussehen würde?
Sie war so weit weg, und jeden Tag geriet sie unter Beschuss, musste Bomben ausweichen und sich den unvorstellbaren Bedingungen anpassen. Und was hatte er ihr mit auf den Weg gegeben? Ich liebe dich nicht mehr.
Er ging zum Fernseher und schaltete ihn an. Wie immer war ihre neueste Videokassette eingelegt; die Mädchen sahen sie sich immer wieder an.
Er drückte auf Play .
Und da war sie, Jolene in Uniform lächelte in die Kamera und zeigte auf Plätze rings um Balad – hier ist der Laden, wo wir den guten Kuchen bekommen …
Seine Frau.
Als die Kassette zu Ende war, blieb das letzte Bild stehen. Jolene und Tami, beide in Uniform, standen Arm in Arm beisammen. Jolene lächelte zwar, aber er erkannte die Wahrheit in ihren Augen. Sie hatte Angst und war auch einsam.
Ein schmerzhaftes Bedürfnis, mit ihr zu reden, überkam ihn.
Aber er konnte sie nicht anrufen. Er konnte ihr nur einen Brief schreiben.
Was er nicht getan hatte. Zwar
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