Zwischen uns das Meer (German Edition)
und ging mit ihr zum Sofa, wo sie sich hinsetzten. »Sie will nicht, dass wir uns Sorgen machen.«
»Machst du dir denn Sorgen?«
Er blickte sie an, sah ihren ängstlichen Blick und wusste, dass er jetzt jedes Wort auf die Goldwaage legen musste. Sollte er sie anlügen? Er konnte der Wahrheit ganz gut ausweichen, aber dieses Mal wollte er das nicht. »Ja, ich mache mir Sorgen.« Er zog sie auf seinen Schoß.
»Ich auch.« Betsy schlang ihm die Arme um den Hals, als wäre sie wieder ein kleines Mädchen, und barg ihr Gesicht an seiner Brust. Er merkte, dass sie weinte – ihre schmalen Schultern zuckten, die Haut an seinem Hals wurde nass –, und sagte nichts mehr.
Als sie sich schließlich zittrig und mit bleichem, tränenverschmiertem Gesicht von ihm löste, überkam ihn plötzlich eine Welle der Liebe zu ihr. »Ich hab dich lieb, Betsy, und es wird alles gut werden. Daran müssen wir fest glauben. Sie kommt wieder zu uns nach Hause.«
Betsy nickte langsam und biss sich auf die Unterlippe.
»Hey«, rief Lulu, die gerade ins Zimmer kam. »Ich will auch auf den Schoß.«
Michael streckte einen Arm aus, und Lulu kletterte neben ihre Schwester. »Ich glaube, ich sollte heute mal mit euch an den Strand«, verkündete er nach einer Weile.
Lulu löste sich von ihm und starrte ihn mit großen Augen an. »Du?«
»Aber heute ist doch ein Arbeitstag«, warf Betsy ein.
»Ich hab genug gearbeitet«, entgegnete Michael. Dieser für ihn so ungewöhnliche Satz löste etwas in ihm. Auf einmal durchströmte ihn Heiterkeit. Er griff nach dem Telefon auf dem Beistelltisch und rief seine Mutter an. »Hey, Ma. Ich bleibe heute bei den Mädels zu Hause. Wir wollen zum Strand. Hast du Lust mitzukommen?«
Seine Mutter lachte. »Ich hab noch eine Menge im Laden zu tun. Aber wir könnten uns dort treffen.«
»Perfekt«, erwiderte Michael und legte auf. Dann wandte er sich an seine Töchter: »Worauf wartet ihr noch? Ich dachte, wir wollten zum Strand.«
»Au ja!«, quiekte Lulu, sprang von seinem Schoß und rannte nach oben.
In der Garage fand Michael die Strandausrüstung, die Jolene ordentlich zusammengestellt hatte: Liegestühle, Spieße zum Rösten von Marshmallows, Grillanzünder, Kühltaschen. Als Betsy und Lulu in Badeanzügen und mit Strandlaken unter dem Arm wieder nach unten kamen, hatte er bereits eine Kühltasche gepackt. »Ich hab Lulu umgezogen«, sagte Betsy stolz.
Nach dem Frühstück nahm Michael die Kühltasche, befahl den Mädchen, sich Eimer und Schaufeln zu schnappen, und dann gingen sie gemeinsam zum Strand hinunter. Die Straße, die an diesem Morgen ruhig war, überquerten sie Hand in Hand, dann stiegen sie zu ihrem kleinen Anleger hinunter.
Sie verbrachten den ganzen Tag am Wasser, bauten Sandburgen, suchten Muscheln und wateten im kalten blauen Sund. Irgendwann gegen Mittag machte er in dem Metallkorb auf ihrem Anleger Feuer, und kurz darauf rösteten sie alle Hot Dogs.
Gegen ein Uhr schloss Michaels Mutter sich ihnen an. Zum ersten Mal seit Monaten vergaß Betsy ihre Teenagerallüren und wurde wieder ein Kind. Und als der Abend kam und der Himmel sich lavendelblau färbte und ein fahler Mond herauskam, um zu sehen, wer da am Strand spielte, setzten sie sich in Decken gewickelt auf ihre Liegestühle, die sie nahe aneinander gerückt hatten.
»Daddy«, sagte Lulu, in seine Arme geschmiegt. »Ich hab ein bisschen Angst vor der Schule. Wann ist nächste Woche? Kann Mommy nach Hause kommen?«
Michael wurde es schwer ums Herz. »Ich weiß, deine Mommy würde unheimlich gerne mit dir zur Schule gehen, doch sie kann nicht. Aber ich werde da sein. Reicht dir das?«
»Hältst du auch meine Hand?«
»Na klar.«
»Wieso muss ich denn jetzt den ganzen Tag gehen? Mommy hat gesagt, ich wäre zum Mittagessen wieder zu Hause.«
»Das ist jetzt anders, Schatz. Du musst jetzt in die Ganztagsschule.«
»Weil Mommy weg ist?«, fragte Lulu schläfrig und spielte mit der kleinen geflügelten Anstecknadel an ihrem Badeanzug.
»Genau.«
»Und wenn ich Angst kriege?«
»Am ersten Tag hat man immer ein bisschen Angst«, versuchte Betsy sie zu beruhigen. »Aber alle werden dich mögen, Lulu. Und du bekommst eine tolle Lehrerin – Miss MacDonald. Die hab ich sehr gemocht.«
»Ach«, sagte Lulu, klang aber nicht überzeugt.
Michael lächelte. »Komm, ich erzähl dir mal, wie es wird …«
Während er seiner jüngeren Tochter von der Vorschule und den Lehrern, von Pausen und Kuschelecken erzählte, war es, als wäre
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