Zwischen uns das Meer (German Edition)
ihren Helm und sah eine riesige Kopfwunde, aus der das Blut schoss.
»Bleib bei mir, Tami …«
Sie warf einen Blick in den hinteren Teil des Helikopters. Die rechte Seite des Rumpfs war verschwunden; das Metall war geschmolzen und glühte noch. Alles, was aus Stoff war, brannte. Smitty war zur Seite gesackt und hatte ein großes, klaffendes Loch in der Brust; es blutete und rauchte. Sein Blick war vollkommen leer. Er war tot. Jamie lag zusammengekrümmt in einer Ecke. »Jamie! Jamie!«
Sie musste alle aus dem Hubschrauber herauskriegen.
Als sie sich bewegte, überkam sie eine Welle der Übelkeit. Der Schmerz in ihrem Fuß war unerträglich. Sie übergab sich und versuchte es erneut. Mit der linken Hand nahm sie ihre Waffe aus dem Holster und hielt sie zitternd vor sich, dann versuchte sie, im dichten Rauch etwas zu sehen. »Tami, ich hol dich hier raus; dann müssen wir irgendwie eine Deckung aufbauen. Wir brauchen das Funkgerät. Jamie, wach auf. Jamie! Hol Smitty raus. Hilf mir.«
Sie hob ihren unversehrten Arm und versuchte, aus dem zerfetzten Rumpf heraus zu zielen. Das Taptaptap wurde lauter. Sie packte Tami, wuchtete sich ihren schlaffen Körper auf den Rücken, kroch langsam aus dem Cockpit, fiel aus dem Hubschrauber und schlug hart auf dem Boden auf. In ihrem Oberschenkel explodierte der Schmerz.
»Chief …«
Das war Jamie. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? »Jamie«, sagte sie, brachte aber nur ein leises Krächzen heraus. Dann lag sie keuchend da und ließ sich von Tamis schlaffem Körper zu Boden drücken. »Komm schon, Tami, wach auf, bitte …«
Sie hörte, wie die Weckfunktion an ihrer Armbanduhr losging, hörte das einsame Piepen, aber das war nicht real. Sie wusste, dass das nicht real sein konnte. In den Schüssen und Schreien um sie herum hätte sie es gar nicht hören können. »Tut mir leid, Tam.« Sie zerrte ihre Freundin über den Boden. Das Blut rauschte ihr in den Ohren, und sie konnte kaum etwas sehen.
Hinter ihr explodierte der Helikopter. Sie warf sich auf Tami und bedeckte ihren Körper mit ihrem eigenen. Irgendetwas prallte hart gegen Jolene und warf sie zur Seite … sie lag im Dreck und starrte benommen auf den nachtschwarzen Himmel, von dem brennende Metallsplitter wie ein Feuerwerk auf sie niedergingen.
Sie hörte, wie ihre Uhr wieder piepte … oder war es etwas anderes? Ein Schrei? Eine Bombe, die an ihr vorbeisirrte? Ein Ruf? BetsyLuluMichael , dachte sie, und dann fiel sie, und alles schwand … ins Nichts.
F ÜNFZEHN
Michael stand am Küchenfenster und sah hinaus in die Dämmerung. Es war Mitte September, ein kühler Abend. Leichter Wind ließ die unteren Zweige der riesigen Zedern über den Saum des hohen Grases tanzen. Die Tage am Strand neigten sich dem Ende zu; der Herbst mit seinen kalten, frostigen Tagesanbrüchen und dem endlos fallenden Regen näherte sich. Er wusste ohne hinzublicken, dass die Pflaumenbäume bereits ihre Blätter verloren.
Im lavendelfarbenen Licht starrte er auf den weißen Zaun, der ihr Grundstück begrenzte.
Das sind wir , hatte Jolene gesagt, als sie ihm vor langer Zeit geholfen hatte, die Latten anzubringen. Die Familie Zarkades. Jeder, der diesen Zaun sieht, weiß, dass wir hierhergehören.
Unten an der Uferstraße kam ein Wagen um die Kurve. Seine Scheinwerfer leuchteten im Sonnenuntergang. Michael sah, wie der Wagen sich näherte – es war ein wuchtiges, offiziell wirkendes Fahrzeug. An der Biegung der Straße wurde es langsamer … dann bog es in seine Einfahrt und hielt.
Michaels Finger klammerten sich an die glatte, kühle Küchentheke. Wende, fahr weg … du bist falsch hier …
Ein Mann in Uniform stieg aus, knallte die Wagentür zu und wandte sich zum Haus.
O Gott!
Michael schloss die Augen und atmete so schnell und heftig, dass ihm schwindelig wurde.
Dann ertönte die Türklingel, hässlich misstönend.
Steif ging Michael zur Haustür und öffnete. »Ist sie tot?«
»Ich bin Captain Lomand …«
»Ist Jolene tot?«
»Sie lebt.«
Michael krallte sich an den Türrahmen, weil er eine Sekunde befürchtete, ihm würden die Beine versagen.
»Tut mir leid, dass ich einfach so hereinplatze. Ich wusste, welchen Eindruck es machen würde, aber ich wollte nicht, dass Ihnen ein Fremder die Nachricht am Telefon überbringt. Darf ich hereinkommen?«
Michael nickte benommen, trat beiseite und dachte: Aber du bist ein Fremder. Der Mann ging durchs Haus ins Familienzimmer, ganz so, als wäre er schon mal hier gewesen.
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