Zwischen uns das Meer (German Edition)
langsam runter«, meldete Jolene ins Mikrofon. Sie senkte den Hubschrauber vorsichtig ab. Der andere Helikopter blieb in der Luft, um ihnen Deckung zu geben.
Jolene behielt ihre Anzeigen genau im Blick, während die beiden Soldaten gerettet wurden. Als sie sicher im Hubschrauber waren, atmete Jolene auf. Sekunden später waren sie wieder in der Luft und flogen zum Stützpunkt zurück.
Dort hörten sie, dass ein anderer Hubschrauber in der Nähe von Bagdad abgestürzt und die ganze Crew umgekommen war.
In dieser Nacht konnte Jolene nicht schlafen. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie Hubschrauber zu Boden trudeln und Menschen schreien. Sie sah Kinder in Schwarz, die sich um einen Sarg mit der amerikanischen Flagge drängten; einen Soldaten in Uniform, der zu ihrem Haus kam … Schließlich gab sie es auf. Sie schaltete die Nachttischlampe ein und griff nach ihrem Tagebuch.
AUGUST
Ich fliege gern. Ich habe das Fliegen immer geliebt und bin stolz, hier zu sein, meinen Job zu machen und meinem Land zu helfen. Aber in letzter Zeit habe ich Angst, schreckliche, quälende Angst, die wie ein Vogel in meiner Brust flattert. Ich habe schlimme Vorahnungen.
Ich werde die Dinge nicht mehr los, die ich gesehen habe. Selbst im Schlaf nicht: abgetrennte Gliedmaßen, sterbende Soldaten, Fotos von Kindern an Wohnwagenwänden, die sich in der Hitze aufrollen. Jedes Mal, wenn ich abhebe, frage ich mich, ob es das letzte Mal ist. Und stelle mir vor, wie meiner Familie die schlimmste aller Nachrichten überbracht wird.
Tami sagt mir ständig, ich müsste mich um Michael bemühen. Sie sagt, wie sehr ihr Carl hilft, das zu verarbeiten, was wir hier erleben. Sie sagt, ich wäre stur und würde meine Ehe aufs Spiel setzen.
Aber wie kann ich tun, was sie mir rät? Wie soll ich mit Michael reden – Michael, den ich vom ersten Kuss an liebte – Michael, der meine Familie ist? Oder war, bis er sagte, er würde mich nicht mehr lieben. Ich hab gesehen, wie meine Mom jahrelang um einen Mann gekämpft hat, der sie nicht mehr liebte. Ich hätte nie gedacht, dass ich auch so enden würde. Ist es jetzt so weit?
Verliere ich mich hier, oder höre ich einfach auf, ihn zu lieben? Oder ist dies nur eine Auswirkung des Krieges? Ich weiß, dass meine Familie zu Hause mir alles bedeutet. Andererseits sind meine Freunde hier diejenigen, die mich schützen und retten werden.
Manchmal jedoch ist das nicht genug. Manchmal brauche ich … Michael.
Ich brauche ihn. Aber das will ich nicht. Ich habe kein Vertrauen, dass er für mich da ist. Nicht hier. Nicht mehr.
Kein Wunder, dass ich mich so allein fühle. Und jetzt geht auch noch mein verdammter Wecker los und erinnert mich daran …
Der August verging in einer ununterbrochenen Folge heißer, träger Tage. Betsy und Lulu waren fast die ganze Zeit unterwegs, entweder in Sommercamps oder im Grünen Daumen bei Mila. Lulus fünfter Geburtstag war reibungslos über die Bühne gegangen, wenn auch stiller als in den Jahren zuvor.
An diesem Donnerstagmorgen brannte die Sonne schon früh von einem wolkenlos blauen Himmel. Es würde ein prächtiger Sommertag werden. Um halb zehn stand Michael vom Computer auf und ging nach oben. Er klopfte bei den Mädchen und sagte: »Aufwachen, ihr Schlafmützen. Yia Yia kommt euch in einer halben Stunde abholen.«
Dann ging er nach unten und machte Frühstück. French Toast mit frischen Blaubeeren. »Kommt schon, Mädels«, rief er noch einmal.
Mit seinem Kaffee ging er ins Familienzimmer und schaltete den Fernseher ein.
»… letzte Nacht schwere Gefechte in der Nähe von Bagdad. Ein Black Hawk, der von Warrant Officer Sandra Patterson aus Oklahoma City geflogen wurde, geriet unter Beschuss einer reaktiven Panzerbüchse und stürzte ab. Die gesamte Crew kam dabei um …«
Dann sah man Fotos von strahlenden Soldaten in Uniform, eins nach dem anderen …
»Ich dachte, Frauen kämen nicht in Gefechtsnähe«, flüsterte Betsy hinter ihm.
Um Gottes willen , dachte Michael. Schlimm genug, dass er die Nachricht gehört hatte. Jetzt musste er auch noch seine Tochter beruhigen. Wie sollte er sie trösten, wenn die Wahrheit zu offensichtlich war?
Was würde Jolene tun? Was würde sie von ihm erwarten?
Langsam drehte er sich um und sah, dass Betsy Tränen in den Augen hatte. Sie wirkte genauso zittrig und verletzlich, wie er sich fühlte.
»Sie lügt uns an«, sagte Betsy. »All ihre Briefe und Fotos … sind Lügen.«
Er streckte die Arme aus, nahm Betsys Hand
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