Zwischen uns die halbe Welt: Sommerflirt 2 (German Edition)
kann, dann kriegt sogar einer, der nicht klaustrophobisch veranlagt ist, das Gefühl, in einem Grab gefangen zu sein.
Ich drücke mich gegen eine Wand des Lifts, Nathan steht an der anderen. Er hat noch immer seine iPod-Stöpsel in den Ohren, aber ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich Musik hört. Am liebsten würde etwas zu ihm sagen, um ihn auf die Probe zu stellen. Ich kenne so Leute, die vorgeben, Musik zu hören – dabei belauschen sie die Gespräche anderer, die denken, niemand würde etwas mitgekommen.
»Ich bin nicht aus Plastik«, sage ich zu ihm. »Oder künstlich.«
Keine Reaktion, bis auf ein leichtes Zucken seines Unterkiefers. Und er hat die Luft angehalten – nur für den Bruchteil einer Sekunde.
Es stimmt. Ich bin so authentisch, wie man nur sein kann, absolut kompromisslos. Mein Dad sagt, manchmal wäre das gut und manchmal einfach nur furchtbar.
Schließlich kommen wir im vierzigsten Stock an.
»Man sieht sich, Barbie«, murmelt Nathan.
Habe ich gerade recht gehört?
Barbie? Ähm … damit kommt er mir nicht davon. Auf gar keinen Fall.
Ich erstarre und drehe mich um. »Wie hast du mich gerade genannt?«, frage ich.
Ich hätte wissen müssen, dass er mich ignoriert. Ignorieren ist offenbar Nathans Spezialität.
In der Wohnung begrüßt mich Köter, indem er an mir hochspringt und mir mit der Zunge all seine Keime quer übers Gesicht schlabbert. Angeblich soll ein Hundemaul sauberer sein als der Mund eines Menschen, aber wer das behauptet, hat noch nicht das Maul meines Hundes getestet. Er leckt ein wenig zu oft an Weichteilen rum, um ihn – auch wenn man wirklich großzügig ist –in die Kategorie »sauber« einstufen zu können.
Ich sehe auf, als Köter zu seiner Leine hinüberrennt. Zu meinem Erstaunen sitzt Dad am Esstisch.
»Haben sie dich gefeuert?«, frage ich.
Mein Dad blickt auf. »Nein. Ich wollte nur da sein, wenn du nach Hause kommst.«
Das ist eine Premiere. »Warum?«
Dads Aufmerksamkeit wird abgelenkt, weil Köter die Leine im Maul hält und seinen Schwanz wie eine Lanze umherschwingt. »Wir reden später darüber, wenn du Köter Gassi geführt hast.«
Das klingt nicht gut. »Sag’s mir jetzt.«
»Er macht gleich auf den Boden, wenn du dich nicht beeilst.«
»Und ich drehe gleich durch, wenn du nicht damit rausrückst. Was ist los?«
Mein Dad holt tief Luft. »Ich bin noch nicht so lange im Vater-Business (er sagt fadder -Business), aber ich gebe mein Bestes. Du hast ohne meine Erlaubnis meine Kreditkarte benutzt. Diese sechsmonatige Mitgliedschaft kostet mich über dreihundert Dollar.«
Das kommt ungefähr hin. »Ich habe mich doch entschuldigt.«
»Diesmal, Amy, reicht eine Entschuldigung nicht.«
Panik kriecht in mir hoch. Will er, dass ich ausziehe und bei Mom und ihrem hyperallergischen Mann wohne? Die erlauben mir nie und nimmer, Köter in ihrem blitzeblanken Vororthaus zu behalten, vor allem jetzt nicht, da auch noch ein Baby unterwegs ist. Muss ich auf eine neue Schule, wo ich keinen kenne? Die Highschool ist schon hart genug, auch ohne die Neue zu sein, und ich werde jetzt nicht an Nathan denken, weil er mein Mitleid nicht verdient hat.
»Ich mache alles, Aba . Bitte schick mich nicht weg.«
Mein Dad steht auf. Ich weiß, dass er gleich die Katze aus dem Sack lässt, und beiße mir auf die Unterlippe. »Ich habe nicht vor, dich wegzuschicken, mein Schatz.«
»Nein?«
»Nein. Ich habe dir einen Job besorgt.«
7
Moses hatte großes Verhandlungsgeschick.
Er brachte Gott, den Oberoberboss, davon ab, das gesamte jüdische Volk zu vernichten (Exodus 32,13).
Na, wenn das nicht der ultimative Beweis dafür ist, dass man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann.
Ich würde mir gern eine Scheibe von Moses Verhandlungsgeschick abschneiden, wenn ich mich mit meinem Dad rumschlage.
»Amy, du bist aber früh dran. Der Konversionsunterricht beginnt erst in zehn Minuten.«
Ich stehe in der Tür von Rabbi Glassmans Büro in der Beit-Chaverim-Synagoge. Er geht einige Papiere durch und reibt sich dabei seinen grau melierten Bart.
»Ich brauche einen Rat«, sage ich zu ihm.
Rabbi Glassman legt seine Unterlagen beiseite und bietet mir mit einer Geste den Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite seines Schreibtischs an. »Ich habe immer ein offenes Ohr. Dafür bin ich hier.«
»Um sich das Gejammer anderer Leute anzuhören?«
»Unter anderem«, sagt er lächelnd und lehnt sich in seinem großen, dick gepolsterten Stuhl zurück. »Was hast du auf dem
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