Zwischen uns die halbe Welt: Sommerflirt 2 (German Edition)
»Süß«, sagt er.
Ich setze mich auf mein Bett und umarme mein altes Glücksbärchi, das Mom mir gekauft hat, als ich mir mit sechs beim Fahrradfahrenlernen einen Zahn ausgeschlagen habe. Sie hatte mich losgelassen. Und statt schneller zu treten, habe ich mich umgedreht, um zu schauen, ob sie mich noch festhält. Als ich gemerkt habe, dass sie mich nicht mehr hält, habe ich total die Panik bekommen und so schnell gebremst, dass ich über den Lenker geflogen und mit dem Zahn voran auf den Gehsteig geknallt bin. Alles war ganz okay, bis ich das Gesicht meiner Mutter gesehen habe, auf dem pures Entsetzen geschrieben stand. Und als ich mir mit dem Ärmel meines T-Shirts über den Mund gewischt und gesehen habe, dass es voller Blut war, musste ich so heulen, dass ich mich ewig nicht beruhigen konnte. Über eine Stunde habe ich noch so komisch nach Luft geschnappt, ihr wisst schon, dieses schwere, stoßweise Ich-versuche-mit-dem-Weinen-aufzuhören-kann-aber-nicht-Atmen.
Wenn Avi mich damals gesehen hätte, hysterisch und voller Rotz, der mir übers blutige Gesicht lief, dann würde er mich bestimmt nicht süß finden.
Inzwischen bin ich erwachsen. Jedenfalls halbwegs. Radfahren hasse ich noch immer, ich laufe lieber. Und vor tiefem Wasser habe ich auch Angst, aber das weiß Avi schon.
Avi betrachtet meine Tennis-Pokale, die in meinem Regal aufgereiht sind. »Spielst du noch?«, fragt er.
»Nicht in der Mannschaft.« Ich habe es dieses Jahr nicht ins Team geschafft – unter anderem weil ich letzten Sommer nicht im Tenniscamp war. Außerdem bin ich mit dem Konversionsunterricht ziemlich beschäftigt und verbringe lieber Zeit mit meinen Freunden. An der CA in einer Schulauswahl zu spielen, ist ein echter Zeitfresser, und ich habe einen ganzen Tag der Ausscheidungsspiele verpasst, weil ich noch mal einen Tag mit dem Boot von Jess’ Eltern segeln war, bevor sie es nach Wisconsin gebracht haben, um es dort den Winter über unterzustellen. Vor diesem Jahr hätte ich niemals gedacht, dass es etwas Wichtigeres gäbe, als in der Tennis-Schulauswahl zu spielen.
Avis Blick fällt auf das Foto von ihm auf meinem Nachttisch. »An dieses Bild kann ich mich erinnern. Es war dein letzter Tag in Israel.«
»Bevor du in die Armee gegangen bist.«
Er nickt langsam.
»Ist es schlimm da?«
»Was? In der Armee? Ich bin stolz darauf, meinem Land zu dienen, wenn es das ist, was du meinst. Alle Jungs sind wie im Rausch, wenn sie mit einer Waffe schießen, die so stark ist, dass sie ein ganzes dreistöckiges Gebäude in Schutt und Asche legen kann. Verleiht einem ein Gefühl der Unbesiegbarkeit.«
»Das bist du aber nicht.«
»Auch das lernt man. Vor allem beim Kampftraining. Wenn einem die Ausbilder gehörig in den Arsch treten.«
»Bäh.« Ich würde beim Kampftraining ganz bestimmt durchfallen. Ich steh nicht so auf körperliche Schmerzen, weder will ich mich selbst quälen NOCH andere. Es kommt nicht von ungefähr, dass Köter nicht kastriert ist.
»Es ist nicht die Schinderei, die die Leute fertigmacht, es sind die Psychospielchen.« Avi lehnt sich an meine Kommode, beißt sich mit den Zähnen auf die Unterlippe und sieht mir in die Augen.
Er sieht so hinreißend aus, dass ich mich am liebsten auf der Stelle in seine Arme werfen und mich an ihn schmiegen würde, bis ich mich sicher und geborgen fühle. »Was?«, sage ich und werde total unsicher, weil er mich so anstarrt, als wolle er sich mein Gesicht einprägen.
»Ich denke an dich. Wenn es in der Ausbildung besonders schlimm war, wenn ich mental an meine Grenzen gestoßen bin und mies drauf war, habe ich an dich gedacht.«
»An mich? Ich bin Desaster Girl, schon vergessen?«
»Nein. Du bist das einzige Mädchen, das ich kenne, das meint, es müsse immer alles perfekt sein, und das angekotzt ist, wenn es mal nicht so läuft. Du bist nicht nur wunderschön und hast einen Wahnsinnskörper, sondern du bist auch witzig – manchmal auch unbeabsichtigt – und würdest niemals klein beigeben, um einem Streit aus dem Weg zu gehen.«
»Ich hasse die meisten Sachen.«
»Sag mir eine Sache, die du hasst.«
»Oliven.«
»Aber du liebst Sushi.«
»Ich kann meinen Stiefvater Marc nicht ab.«
»Aber du hast jetzt ein gutes Verhältnis zu deinem Dad.«
»Mein Zimmer ist ein Chaos.«
Sein Blick bleibt an meinem Schrank hängen, und all den Klamotten, die herausquellen. »Stimmt.«
Ich nehme mein Glücksbärchi und feuere es auf Avi. Er fängt das Plüschtier mit einer Hand
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