Zwischen uns die Zeit (German Edition)
Es sind meine Worte, aber seine Handschrift:
Eines Tages in naher Zukunft werden wir uns begegnen und dann wirst du wieder verschwinden. Für immer. Aber ich glaube, ich habe eine Möglichkeit gefunden, wie ich das, was damals schiefgelaufen ist, korrigieren kann. Alles hängt davon ab, dass ich eine andere Entscheidung treffe. Sag mir bitte, dass ich für mich bestimmen muss, wie ich leben will, und es nicht von dir abhängig machen darf. Sag mir bitte, dass ich nicht darauf warten soll, dass du wieder zurückkehrst. Ich glaube, das wird unsere Geschichte komplett neu schreiben.
Bennett hat bestimmte Wörter, die ihm wichtig erschienen, umkringelt– wieder verschwinden und für immer und korrigieren und unsere Geschichte komplett neu schreiben. Er hat Kommentare dazugeschrieben und den Rand mit Fragezeichen und Ausrufezeichen versehen, als hätte er meinen Brief eingehend analysiert und herauszufinden versucht, was ich gemeint haben könnte. Aber es ist ihm nicht gelungen, obwohl er monatelang darüber nachgegrübelt hat. Und jetzt ist es zu spät– er ist für immer verschwunden. Warum hat er mir nichts von dem Brief erzählt? Wir hatten doch ausgemacht, dass er keine Geheimnisse mehr vor mir haben wird.
Ich gehe zur Tür und lausche kurz in den Flur hinaus, ob Maggie wiederkommt. Dann lege ich das rote Notizbuch auf den Stapel mit den Banknoten, schließe das Fach ab und räume die Alben wieder in den Schrank. Anschließend kehre ich zum Schreibtisch zurück, lege den Schlüssel wieder in die Schublade und betrachte die Dinge, die ich vorhin herausgenommen habe. Wehmütig fahre ich mit dem Finger über die Postkarte von Ko Tao.
» Hier, bitte.« Ich zucke zusammen, als ich plötzlich Maggies Stimme hinter mir höre. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass sie zurückgekommen ist. Sie hält mir eine kleine Papiertüte hin.
» Danke.«
Sie sieht die Sachen auf dem Tisch und legt eine Hand auf meine Schulter. » Ist alles in Ordnung, Liebes?«
Ich nicke traurig.
» Er ist ein guter Junge. Ich hoffe, er kommt zurück.«
Ich verstaue Bennetts Hinterlassenschaft behutsam in der Tüte, dann stehe ich auf, umarme Maggie und danke ihr dafür, dass sie mir erlaubt, die Sachen aufzubewahren. Sie drückt mich fest an sich.
» Sie sollten nach Kalifornien fliegen, um Ihre Familie zu besuchen, Maggie«, sage ich, als ich mich wieder von ihr löse. » Sie müssen doch Ihren kleinen Enkel kennenlernen. Ich könnte mir vorstellen, dass es Ihrer Tochter viel bedeuten würde.«
» Ich weiß nicht.« Sie weicht meinem Blick aus. » Meine Tochter und ich… wir haben nicht das allerbeste Verhältnis, musst du wissen.«
» Sie sollten es trotzdem tun«, sage ich.
Sie seufzt. » Vielleicht hast du recht.«
Ich lächle. Warum warten, bis Bennett alt genug ist, um zu ihr in die Vergangenheit zu reisen und den Lauf ihrer Zukunft zu verändern, wenn ich mit dem Wissen, das ich durch ihn habe, schon jetzt etwas tun kann, um ein paar Dinge in der Gegenwart möglicherweise zum Besseren zu wenden?
Ich verabschiede mich von ihr mit einem Kuss auf die Wange und gehe.
***
Eine halbe Stunde nach Unterrichtsschluss komme ich völlig außer Atem wieder an der Schule an, reiße die Eingangstür auf und laufe durch die verwaisten Flure. Ich kann nur hoffen, dass das Klassenzimmer nicht abgeschlossen ist, mein Rucksack immer noch an seinem Platz steht und Señor Argotta schon gegangen ist. Mir ist allerdings klar, dass die Chancen auf so viel Glück auf einmal ziemlich schlecht stehen.
Als ich die Tür öffne, sitzt mein Spanischlehrer an seinem Pult und korrigiert Arbeiten, der Rucksack steht neben ihm auf dem Boden.
Señor Argotta hebt den Kopf, als hätte er mich erwartet. » Ah, Señorita Greene. Da sind Sie ja wieder.«
» Ich… bitte entschuldigen Sie, dass ich so plötzlich aus dem Unterricht gelaufen bin. Ich war…«
» Sie müssen nichts sagen, Señorita Greene«, unterbricht er mich mit mitfühlendem Lächeln. » Ihr Freund, Señor Camarian, ist nach dem Unterricht zu mir gekommen und hat mir erklärt, wie sehr Sie die… die überstürzte Abreise von Señor Cooper mitgenommen hat.«
Schuldbewusste Dankbarkeit für Alex steigt in mir auf. So viel Fingerspitzengefühl hätte ich ihm nicht zugetraut.
Señor Argotta beugt sich vor und schiebt mir meinen schweren Rucksack zu. » Deswegen sind Sie doch noch einmal gekommen, oder?«
Ich hieve ihn mir auf die Schulter, verabschiede mich und bin schon an der Tür, als Argotta
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