Zwischen uns (German Edition)
als nur ein Egoist. Ich war viele Dinge, die wir damals zu jung und zu dumm waren zu verstehen. Und als er das zu mir sagte, drehte ich mich um und ging davon, voller selbstgerechter Wut angesichts dieser Beleidigung. Heute, mit Zeit und Abstand und Erfahrung, verstand ich jedoch, warum Chance es damals so empfunden hatte.
Ich hatte seit Jahren nichts mehr von ihnen gehört. Mein Bruder Cap, der drei Jahre jünger war als ich, wüsste vermutlich alles über sie. Ich hatte in der Schule nur wenige Freunde gehabt; Cap dagegen war bei allen beliebt gewesen. Football-Spieler, Mitglied in der Theatergruppe, König des jährlichen Alumnitreffens, im Jahrbuch zum witzigsten Schüler gekürt … Außerdem hatte die High School ihm genügend Spaß gemacht, um auch danach noch den Kontakt zu seinen Kumpeln von damals zu halten. Er war zwar mit den Murphys nicht befreundet gewesen, aber er könnte was über sie rausfinden.
Allerdings war, meinen Bruder anzurufen, um Infos über ein paar Jungs zu bekommen, mit denen ich Sex gehabt hatte, ungefähr so peinlich, wie die eigenen Eltern in flagranti im Bett zu ertappen … Ja, das war mir tatsächlich schon passiert, auch wenn ich mich nicht sonderlich gern daran erinnerte …
Cap war vermutlich der Einzige, der von mir und den Murphy-Brüdern wusste. Aber nur weil er vor Jahr und Tag eingeweiht gewesen war, musste er ja nicht unbedingt heute noch Lust darauf haben, mit mir darüber zu reden.
Doch selbst Affen setzen gern irgendwelches Werkzeug ein. Also wendete ich mich dem zu, was mir zur Verfügung stand: dem Internet. Meinen Laptop hatte ich vor ein paar Monaten geschrottet, und ein neuer war bisher nicht drin gewesen. Ich wollte warten, bis ich genug gespart hatte, um mir den größten, schnellsten, schicksten Mac zu leisten, und das würde noch eine ganze Weile dauern - es sei denn, ich würde auf der Stelle meine Sucht nach tollen Retro-Klamotten und glitzerndem Eyeliner überwinden. Was reichlich unwahrscheinlich war. Bis dahin checkte ich deswegen meine E-Mails und anderen Kram über mein Handy und benutzte ansonsten den alten Computer im ersten Stock.
Ich hatte mir ein eigenes Benutzerkonto auf dem PC angelegt - weniger, weil ich mir Sachen angucken wollte, die nichts für kleine Kinder waren, sondern damit sie nicht irgendwas, das ich gespeichert hatte, durcheinanderbrachten. Mit ihren vier Jahren fand Simone sich schon ziemlich gut im Labyrinth der Online-Spiele für Kinder zurecht, aber sie war auch eifrig mit der Delete-Taste zugange. Ich hatte dadurch mehr als einmal wichtige Dokumente und E-Mails verloren. Ihr Bruder Max, zweieinhalb Jahre alt, hämmerte gern ohne Sinn und Verstand auf den Tasten herum und brachte den Computer immer wieder dazu, eine Reihe merkwürdiger Funktionen auszuführen, von den wir gar nicht wussten, dass er sie hatte, und die er vermutlich auch nicht haben sollte.
Da noch niemand zu Hause war, musste ich mir keine Sorgen machen, dass jemand unbedingt Videos von süßen Haustieren ansehen oder sich vor eines dieser pädagogischen Lernspiele setzen wollte, von deren grellen Farben einem die Augen wehtun. Ich musste nicht aufpassen, dass ein kleines Wesen über meine Schulter starrte, während ich mir Bilder ansah, die Connex-Freunde für mich hochgeladen hatten. Meredith lag falsch mit ihrer Annahme, ich wäre niemandem Rechenschaft schuldig. Ich lebte mit vier anderen Menschen zusammen, und einer davon würde mir meinen Hintern auf einem Silbertablett servieren, wenn ich seine Kinder irgendwelchem Zeug aussetzen würde, das nicht gut für sie war.
Leute auf Connex auszuspionieren ist supereinfach, wenn sie nicht vorsichtig genug sind, die entsprechenden Icons zum Schutz der Privatsphäre anzuklicken. Ich hab meinen Account nicht geblockt, weil ich nie Fotos oder irgendwas zu Privates hochlade, das nicht jeder sehen soll. Außerdem will ich ja, dass Leute mich finden können. Dafür sind Social Networks schließlich da.
Ich fand die Murphy-Brüder nach nur wenigen Klicks. Sie gehörten beide zu einer Fan-Gruppe unserer Abschlussklasse. Ich war nicht beigetreten. Auf ihren Profilbildern sahen sie sich nicht mehr so ähnlich wie damals. Sie waren noch immer groß und schlaksig, aber sie hatten ein wenig zugenommen, und das stand ihnen.
Chance war verheiratet. Zwei kleine Kinder. Ich klickte mich durch seine Fotos, auch wenn mir dabei ein wenig unheimlich zumute war. Er lebte in Ohio und arbeitete für ein
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