Zwischen Vernunft und Sehnsucht (Julia) (German Edition)
Enttäuschung über diesen Mann, der heute Abend sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Und sie hatte so sehr gehofft …
Nein, Schluss mit den naiven Träumen von einem glücklichen Leben zu zweit. Sie hatte ihm so viel von sich gegeben. Und ihm war es nur um Sex gegangen.
„Ich weiß alles.“
Durch tränenverschleierte Augen sah sie ihn vor sich stehen, breitbeinig und selbstbewusst, die Arme vor der Brust verschränkt.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Woher wusste er von der Sache mit Adrian? Und warum kam er jetzt erst darauf zu sprechen?
„Adrian hat sich dir … anvertraut?“ Sie runzelte die Stirn, so unwahrscheinlich erschien ihr diese Möglichkeit. Sie hatte Adrian mehrmals geraten, sich Hilfe zu suchen. Er war krank gewesen. Leider hatte er nur aggressiv auf ihre gut gemeinten Ratschläge reagiert und einen Vertrauensbruch darin gesehen.
„Du kanntest meinen Bruder.“
„Natürlich kannte ich deinen Bruder, darüber haben wir doch schon gesprochen! Er hat ja nach seiner Rückkehr aus London in Carinya gewohnt.“
„Aber du sprichst nie von ihm.“
„Nein …“ Verstört schüttelte sie den Kopf. Worauf wollte er hinaus?
Als sie damals nach Carinya zurückgekehrt war, hatte sie beschlossen, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Adrians gestörtes Verhalten zur Sprache zu bringen hätte Declan und auch sie selbst nur unnötig belastet.
„Was willst du von mir hören?“
„Du könntest sagen, dass es dir leidtut. Das wäre zumindest ein Anfang.“
Ratlos musterte sie sein hartes zorniges Gesicht. Sie verstand nicht, was er von ihr wollte. Wieso ging es jetzt um Adrian und nicht mehr um sie beide?
„Ich habe dir mein Beileid doch schon ausgedrückt.“
„Du bestreitest, dass du etwas mit seinem Tod zu tun hattest?“
Sie strich sich verwirrt eine Locke aus der Stirn. „Wie meinst du das? Es war ein Kletterunfall, du warst doch dabei!“
„Oh, du bist gut. Wirklich sehr gut. Der reinste Unschuldsengel“, spottete er. „Nein, es war kein Unfall. Er hat sich umgebracht. Deinetwegen.“ Anklagend zeigte er mit dem Finger auf sie.
Schockiert presste Chloe eine Hand an ihr Herz. „Nein, das ist nicht wahr. Das kann nicht sein.“
Er sah sie an, schweigend und mit starrer Miene – und langsam, ganz langsam krochen Zweifel in ihr hoch.
Sie erinnerte sich, wie Adrians zunächst harmloses Interesse an ihr allmählich in Belästigung übergegangen war. Wie er immer dreister ihre Privatsphäre verletzt hatte, bis sie es nicht mehr ausgehalten hatte.
Außer ihr war niemand da gewesen, um ihn zur Besinnung zu bringen. Doch wenn sie ihn auf seine Probleme ansprach, hatte er ihr nur vorgeworfen, dass sie ihn nicht so liebe wie er sie. Sie bekam jetzt noch eine Gänsehaut, wenn sie daran dachte.
Konnte Adrian sich so tief in seine Fantasien verstrickt haben, dass er sich tatsächlich ihretwegen umgebracht hatte?
„Sag mir, dass es nicht wahr ist“, bat sie flehend. „Bitte, Declan.“
Er musterte sie eine Weile schweigend, ehe er mit erschreckend tonloser Stimme erklärte: „Wir stürzten zunächst zusammen ab, aber wir waren mit einem Seil gesichert. Ich hatte gerade einen Weg gefunden, uns zu retten.“
Nach kurzer Pause fuhr er fort: „Er hatte mir vorher ein Foto von dir auf seinem Handy gezeigt. Und dich mir liebevoll in allen Einzelheiten beschrieben.“ Bittere Ironie lag in seiner Stimme. „Er schwärmte mir von der wundervollen Frau vor, die in sein Leben getreten war. Und von eurer perfekten Beziehung.“
Kopfschüttelnd wich sie zurück, doch Declans Hände schlossen sich wie Schraubstöcke um ihre nackten Oberarme.
„An dem Tag, als wir in die Berge gingen, war er irgendwie anders. Nervös, nicht so fröhlich wie sonst. Aber erst bei dem Unfall erfuhr ich, was er mir bis dahin verschwiegen hatte. Wie schändlich du ihn verraten hattest.“
Sein wütendes Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt.
„Er glaubte, sein Leben sei nicht mehr lebenswert ohne dich. Deshalb hat er das Seil zerschnitten und sich in den Tod gestürzt.“
Ein entsetzter Schrei kam über Chloes Lippen. Sie sah die furchtbare Szene vor sich: Adrian, wie er sich voller Verzweiflung in die Schlucht hinabstürzte.
Ihretwegen.
Nein, das war Unsinn. Sie konnte nichts dafür.
Und doch fühlte sie sich ganz elend bei dem Gedanken, dass es vielleicht nicht passiert wäre, wenn sie etwas unternommen hätte.
Sie hatte damals überlegt, sich wegen sexueller Belästigung bei ihrem Arbeitgeber zu
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