Zwischen Wind und Wetter
katholische Republik. Ein irischer Bischof hatte nicht nur Jahre vorher mit ihr einen Sohn gezeugt, sondern ihr Schweigen auch noch mit Kirchengeldern bezahlt.
Nun ja, irische Geschichten, Irland im Wandel.
Die konservative Regierungspartei Fiânna Fail und auch die konservative Oppositionspartei Fine Gael verlieren an Stimmen, während die irische Labour Party ihre Mandatssitze auf dreiunddreißig verdoppeln konnte. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union hat dem ehemaligen Armenhaus Europas ein wenig Wohlstand gebracht, der allerdings sehr ungleich verteilt ist. Die Arbeitslosigkeit Hegt bei 20 Prozent, vor allem ein Großteil der Jugend ist ‘on the dole’. Trotzdem wird es Irland nach der Bundesrepublik Deutschland * ) und Luxemburg 1995 schaffen, die Kriterien für die Währungsunion zu erfüllen. Attention, kommen die Iren?
Ja, es geht in einigen Bereichen voran, unter anderem mit Geld aus den Töpfen der Union. Großzügige Steuergeschenke an ausländische Unternehmer haben vor allem US-amerikanische und deutsche Firmen angelockt. Insbesondere Elektronikfirmen wie Nixdorf/Siemens (da ist Siemens wieder!), Krups oder Braun haben sich angesiedelt, auch die Chemieindustrie hat Irland und seine laschen Umweltgesetze entdeckt.
Mit Steuerfreiheiten (Tax free, Investment Opportunities) werden Interessenten in großformatigen Zeitungsanzeigen angelockt, Exportsteuervergünstigungen und Vermögenssteuerfreiheit sind nur einige der Vorteile.
Löcher im Haushalt wurden und werden zu Lasten der Mehrheit der kleinen Leute über die Lohnsteuer und die indirekten Steuern bei Tabak und Bier gestopft. Nur langsam geht die Auswanderungsquote zurück, noch immer gibt es Familien wie die von John Sheridan aus einem Vorort bei Dublin, die von der Arbeitslosigkeit an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden. Noch haben sie eine Wohnung, doch — wie Christoph Potting schreibt — sind neben John sowohl seine Brüder als auch zwei Schwäger arbeitslos, der Vater ist körperbehindert und auch ohne Arbeit. Die Mutter hält als Putzfrau die Familie über Wasser. John hilft ab und zu auf einem Bauernhof.
»In der Stadt wäre die Langeweile nicht auszuhalten, da wäre ich sicher schon im Knast«, sagt er.
Die irische Zulieferindustrie hat das Nachsehen. Die erhofften Aufträge sind ausgeblieben. Die ausländischen Konzerne bringen alles mit, nutzen nur die Steuervorteile und die billigen Arbeitskräfte. Die Fertigprodukte gehen in die heimischen Länder und müssen teuer nach Irland reimportiert werden. Und wenn sich der US-Riese ‘Microsoft’ ansiedelt, dienen die hergestellten Produkte oft dem Arbeitsplatzabbau.
Doch trotz aller Probleme: Irland ist jung, die Jugend ist gut ausgebildet, es kann aufwärts gehen. Schön wäre es, wenn der Aufschwung nicht auf Kosten der Umwelt geschähe.
Wir sitzen immer noch am Hafenmäuerchen, blicken zurück und hinauf. In der Ferne unter dem grauen Deckel des Himmels sehen wir die langgezogene Linie der Cliffs von Moher von hinten, rechts und links eingerahmt von den beiden Türmen O’Brien’s und Hag’s Head.
Trotz der heißen Gedanken ist uns kühl geworden, unsere Hintern sind eingeschlafen. Ein Terrier besucht uns, bekommt Wurstpelle, vor Vaughan’s Anchor Inn winken zwei Männer: Come in!
No, no, rufen wir, sorry, we’ve to work! und weisen auf die Bikes. Sie winken ab, staksen hinein.
»Fällt dir ‘was auf ?« ruft Ilse, dreht sich kurz um, damit der Wind ihre Worte nicht verweht.
Ich bin gerade dabei, einigen größeren Schlaglöchern auszuweichen.
»Was denn?«
»Die Schlaglöcher!«
»Wieso?«
»Die sind immer auf unserer Seite !«
Quatsch !, denke ich. Aber schöner Quatsch. Mein Hinterrad erwischt gerade eins, nicht allzu tief, aber unangenehm. Ich versuche im letzten Moment, aus dem Sattel zu gehen. Das arme Hinterrrad hat eh die größten Belastungen durch Fahrer und Gepäck auszuhalten!
Dann werde ich nachdenklich. Gewiß, jetzt gerade — aber das ist natürlich Zufall — sind die Schlaglöcher wieder auf der linken Seite der Fahrbahn, auf unserer Seite.
»Wart’s ab«, rufe ich nach vorn, »gleich kommen rechts welche !«
Erfreulicherweise folgt ein Stück Straße, das völlig in Ordnung ist. Links begleiten uns efeu überwachsene Bruchsteinmauern, rechts am Straßenrand eine Baumreihe, wir durchfahren ein Dorf ohne Flunde, der Gegenwind ist mäßig, Lahinch nicht mehr allzu weit entfernt: das Leben ist herrlich und das Radfahren eine
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