Zwischen Wind und Wetter
nie sterben können, sie kommen ja schon zu Lebzeiten ins Paradies. Auf
Kosten anderer, natürlich.
Wir sind
erst einmal gerettet, rennen vor Freude am Strand entlang. Irland bei
Sonnenschein. In der Nähe des Ortes herrscht reges Badeleben, das Wasser kocht,
die Wassertemperatur erreicht dreizehn Grad. Wir bleiben am Strand, bis die
Flut uns langsam vertreibt.
Was tun am
Sonntag, wenn die Heiterkeit des vergangenen Tages dahin ist, graue
Wolkenstreifen sich von Südwesten her unaufhörlich heranschieben? Gehen mit dem
Wind. Wir wandern nach Norden, an der Felskante entlang, umrunden die tief ins
Land einschneidenden Buchten mit ihrem gelben, festen Sand, der nie trocknet,
weil die Flut ihn bis zu den Felsen überspült.
Schmale
Fußpfade und Trittspuren im dichten, grünen Gras der Kuh weiden führen uns. Die
Rinder kauen gemächlich, liegen bequem im Gras. Nur manchmal steht eine Kuh
auf, getrieben von Furcht und Neugier, macht einen Schritt auf uns zu und drei
wieder fort. Und ein Esel schreit kläglich hinter
uns her, es ist zum Weinen. Unter uns rennt das Meer an gegen den Fels,
unermüdlich; Felsbrocken ragen aus dem Schaum: schräge, schwarzbraune Streifen
zeigen die Gesteinsschichten an; das Meer nagt und nagt, manch abgesplitterter
Brocken zeigt die gleichen, schräggeplatteten Spuren an wie das Festland, zu
dem er einstmals gehörte, bevor das weiche Wasser den harten Stein abtrennte.
Wir kuscheln
uns in eine windgeschützte Grasmulde, versuchen etwas zu lesen. Und dieser
Leuchtturm vom Kilcredaun Point ist wahrhaftig in der Ferne zu sehen, der
kleine weiße Finger leuchtet in der Sonne vor schwarzem Fels. Eine
Fahrradtagesreise weiter nördlich scheint die Sonne.
Diese Sonne,
die so langsam, so langsam nur in diesem Jahr dem nördlichen Wendekreis
zusteuert, dem Wendekreis des Krebses auf 23,5 Grad nördlicher Breite, der
geradewegs durch Spanisch Sahara, das südliche Algerien und den Assuan-Staudamm
in Ägypten hindurchgeht. Diese Sonne, die wohl in den Roßbreiten
steckengeblieben ist,
»...wo den
ganzen Tag der Schirokko weht. Dieser heiße verschlingende Wind hat uns seit
der glühenden Hölle der Portes-de-Fer nicht mehr verlassen. Die fernen
Horizonte stehen in Flammen und wirken vollends verzerrt, überall wirbeln graue
Staubwolken auf und fegen über die Straßen. Die Mücken summen und stechen,
außer sich vor Hitze. Bou-Saida, die fahlrote Königin, schläft genüßlich im
Kleid ihrer dunklen Gärten, unter der Wacht ihrer violetten Hügel am
steilfallenden Rand des Wadi, in dem das Wasser über die weißen und rosa Kiesel
rauscht. Wie nachlässig über die kleinen irdenen Mauern gebeugt, weinen die
Mandelbäume ihre weißen Tränen, während der Wind ihnen sanft über die Kronen
streicht; ihr zarter Duft erfüllt die weiche Lauigkeit der Luft und beschwört
eine zauberhafte Melancholie herauf...«.
Die Autorin
dieser Zeilen, Isabelle Eberhardt, unternahm um die Jahrhundertwende weite
Reisen nach Tunesien, in den Sahel und in die algerische Wüste. Sie lebte als
Nomadin, schrieb Reiseberichte, einen Roman und wunderschöne
Landschaftsschilderungen. 1904 kam sie, siebenundzwanzig Jahre alt, in einem
der oben beschriebenen Wadis durch eine plötzliche Flutwelle um.
‘Ich bin
eine Träumerin’, sagte sie von sich.
‘Nur Reisen
ist leben’ (nach Jean Paul) heißt das Buch, in dem ich dies lese.
Der Wind aus
Südwest, der wohl aus der Wetterküche der Biskaya kommt, hat zugenommen, hier
schlafen die Mücken, und anstatt vom Wendekreis des Krebses oder den Roßbreiten
zu träumen, scheinen wir uns dem Polarkreis zu nähern.
Doch — am
Strand baden Kinder im flachen Wasser. Irische Kinder.
Heute ist
Montag, the Whit Monday des Whit Weekends, obwohl Whit Monday eigentlich
Pfingstmontag bedeutet.
Die Iren
nutzen das lange Wochenende, um ans Meer zu fahren und sich zu amüsieren. Und
unaufhaltsam im Lauf der Jahre gehört auch schon der Freitag dazu, den die Iren
als Freizeit vereinnahmen. Kürzlich verschob der irische Schulminister die
traditionelle Ausgabe der Abiturzeugnisse vom Freitag auf den Donnerstag, um
die an Wochenenden besonders ausgeprägte Trinkfreudigkeit zu bremsen. Doch die
‘Reifgesprochenen’ werden sich wohl kaum bremsen lassen. Wie sie sich noch nie
haben hindern lassen von irgendwelchen Bestimmungen, vor allem, wenn es um
Polizeistunden oder ähnliches geht.
Wenn Seamus
einen trinken will... Schon in den fünfziger Jahren
Weitere Kostenlose Bücher