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Zwischen zwei Nächten

Zwischen zwei Nächten

Titel: Zwischen zwei Nächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Geschirr, sondern auch sich selbst. Im Klo befand sich zwar eine Dusche, da jedoch der Ausguß ständig verstopft war, benützte sie diese so gut wie nie.
    Der linke Trakt des Hauses stand leer. Im Parterre wurde er als Schuppen verwendet, und Jeff, der im zweiten Stock wohnte, benützte ihn im Winter als Vorratskammer für seinen gestohlenen Whisky.
    Ann-Marie wagte nicht, diesen Teil ihres Stockwerkes zu betreten. Die Mauern bröckelten ab, und die Fenster hatten keine Scheiben. Vor allem aber befürchtete sie, daß die morschen Holzplanken ihre fünfundsechzig Kilo nicht aushielten. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie sie eines Tages mit gebrochenen Beinen unten bei den Ramirez im Schuppen liegen würde. Die Arztrechnung würde sie auf keinen Fall bezahlen können.
    Die Wohnung war groß genug für Ann-Marie. Die sechsköpfige puertoricanische Familie im Erdgeschoß mußte mit ebenso vielen Quadratmetern auskommen. Sobald es wärmer wurde, wichen sie allerdings in den verwilderten Garten hinter dem Haus aus.
    Der dritte Stock und das Dachgeschoß waren unbewohnbar. Über ihr hauste Jeff, ein junger Schwarzer, der gelegentlich in einer Bar arbeitete und einen lukrativen Schwarzhandel mit Whisky betrieb. Ann-Marie verstand sich gut mit ihm. Er versorgte sie mit harten Getränken, und sie revanchierte sich mit selbst angepflanztem Marihuana, das in den Blumentöpfen auf ihrer Feuerleiter prächtig gedieh. Manchmal schlief sie mit Jeff, einfach so, weil es bequem und problemlos war.
    Auch mit den Puertoricanern kam sie gut zurecht. Leider sprach sie nur ein paar Brocken Spanisch, und deren Englisch reichte nicht aus, um mehr als belanglose Sätze miteinander zu wechseln. Ann-Marie hatte sich fest vorgenommen, Spanisch zu lernen. Auch in den Geschäften und Lokalen konnte man sich fast nur mehr in dieser Sprache verständigen.
    Die Einwanderer aus Lateinamerika hatten sich in den Häusern, die aussahen als hätte erst vor kurzem eine Bombe eingeschlagen, so recht und schlecht eingerichtet. Die meisten fanden keine Arbeit. Mauern und U-Bahnstationen waren mit wütenden Sprüchen beschmiert, und im Rinnstein lagen die Alkoholleichen. Die Kriminalitätsrate war in diesem Viertel besonders hoch. Ein paar Straßen weiter gab es noch hübsche Brownstonehäuser mit winzigen Vorgärten. Doch diese Häuser waren für Ann-Marie und die Hispanos unerschwinglich. Seit kurzem ließen sich auch schicke Boutiquen und Galerien in der East Side nieder. Sie trieben die Mieten in die Höhe, und wenn es die Gangs nicht schafften, diese Eindringlinge zu vertreiben, würde sich Ann-Marie bald auch diese Wohnung nicht mehr leisten können und wieder umziehen müssen. Aber daran war sie gewöhnt.
    Es wollte ihr einfach nicht gelingen, sich Anna, die reiche, verwöhnte Anna, in dieser Umgebung vorzustellen. Sie paßte unmöglich in die Lower East Side. Bestimmt würde sie gleich am ersten Tag überfallen und, wenn sie Glück hatte, nur ausgeraubt werden.
    „Wenn ich nicht bezahlen muß, schmeckt es mir besonders gut“, sagt der Mann mit den traurigen Augen und bestellt noch ein Viertel Wein.
    Dann erzählt er ihr von New York.
    „Sie haben doch gerade gesagt, daß Sie noch nie drüben waren, dafür kennen Sie sich aber recht gut aus.“
    „Muß man denn unbedingt an einem Ort gewesen sein, um ihn zu kennen? Mir genügt es, darüber zu lesen. Ich kenne alles nur aus Büchern.“
    Ann-Marie schüttelt verwundert den Kopf. Obwohl sie seine Geschichten amüsant findet, läßt sie ihn nicht weitererzählen.
    „Wann haben Sie Anna zum letzten Mal gesehen?“
    „Wann ich sie …, ist noch gar nicht so lange her, letzten Samstag, glaube ich. Habe nachmittags ein paar Stunden im Büro verbracht, hatte noch etwas zu erledigen. Ich arbeite gern allein, deshalb gehe ich am liebsten an den Wochenenden hin. Sie hat mich rüber in ihre Wohnung gebeten, mir mein Honorar ausbezahlt und noch ein paar Tausender draufgelegt. Urlaubsgeld, hat sie gemeint. Ich hab auch einen Drink serviert bekommen, und sie hat mir mitgeteilt, daß sie das Büro aufgeben und fortgehen würde. Ich hab nicht viel gefragt, nur meinen Whisky ausgetrunken und mich bald wieder verdrückt.“
    „Hat sie sonst noch was gesagt, irgendetwas, das von Bedeutung sein könnte?“
    „Nein.“
    Die stark geröteten Augen des Betrunkenen scheinen durch sie hindurch zu starren.
    „Sie war nicht deprimiert, wenn Sie das meinen.“
    Er wirkt plötzlich ganz nüchtern.
    „Haben Sie eine

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