Zwischenfall in Lohwinckel
bestehen. Sie lief schnell in den Hof und suchte den Pferdejungen. Der Junge war auf das Gatter geklettert und starrte angestrengt in den Abend, zwar konnte man vom Gut die Fabrik nicht sehen, aber hinter dem schwärzeren Rand des Waldes lag der Himmel rötlich aufgehellt. Im Gemüsegarten zirpten hundert Grillen, das gab ein sonderbares Gefühl von Stille und Weitabseitssein. Fräulein von Raitzold jagte den Jungen mit den Pferden nach der Stadt, die Tiere waren müde und unlustig, sie wurden zu allem und jedem gebraucht und hatten allen Charakter verloren. Zehn Minuten später hielt es das Fräulein nicht mehr auf dem Gut aus, die Grillen zirpten, die Kuh hatte dumpf zu klagen begonnen, im Salon spielte die Lania noch immer ihren verzweifelten Foxtrott. Fräulein von Raitzold schleppte das alte Herrenrad aus der Gerätekammer, zog die Kutschierhandschuhe über und fuhr nach Obanger.
Der Brand hatte in den Schuppen zwei und drei begonnen, den gleichen Gebäuden, in denen am Morgen das Versagen der elektrischen Leitungen und der vermutliche Kurzschluß sich gezeigt hatten. Der Nachtwächter war erst aufmerksam geworden, als der dicke Qualm sich in einer Stichflamme, die aus dem Dach von Schuppen zwei schoß, Luft suchte. Er und der Schofför Müller waren mit den Handlöschapparaten dem ersten Aufflammen zu Leibe gerückt, ohne Erfolg. Die Düßwalder Feuerwehr war früher zur Stelle als die von Lohwinckel. Schuld daran trug die Kinovorstellung in Oertchens Lokalitäten, die dann allerdings im Tumult abgebrochen wurde, ohne daß man erfuhr, was mit den drei Hauptpersonen weiter geschah. Die ersten zwanzig Minuten der Löschversuche gingen ziemlich kopflos hin, das Feuer hatte seinen Weg durch glimmendes Dachgebälk zu jenem Anbau genommen, den der Schofför bewohnte; unter dem Kommando des Geschirrhändlers und Spritzenhauptmanns Vögele wurde das Wasser dorthin konzentriert, und heldenmütige Freiwillige schleppten den Müllerschen Hausrat ins Freie: Muschelbetten, Küchenbüfett, Vogelkäfig, ein gerahmtes Bild von Bebel und eine Madonna aus blauem, besterntem Porzellan. In den brennenden Schuppen hatten sich indessen ungeheure kompakte Massen von schwärzlichrot durchzucktem Rauch gebildet, der Mangel an Fenstern und die schlechten Lüftungsanlagen ließen keinen Abzug, und es war den Löschenden nicht möglich, einzudringen. Indessen fraß das Feuer von innen her in die Dachstühle hinauf und schoß wie mit ungeheuren Armen hoch in die Luft, überall dort, wo es Sauerstoff bekommen konnte.
Auf den schwarzen Skeletten des Gebälkes stehen schwarze Menschen mit Schläuchen in den Händen. Unten schlagen sie Löcher in die Mauern. Manchmal fliegt ein Fetzen Brand taumelnd und schwerfällig von einer Stelle zur andern. Die Lohwinckler stehen draußen, an der Mauer, mit dem Widerschein des Brandes auf ihren aufgerissenen Gesichtern und empfinden die sonderbare Befriedigung und Urfreude, die es macht, brennen zu sehen. Es ist alles in allem ein ziemlich großer Brand, jedenfalls ein Schauspiel, das nicht heute und morgen mitzunehmen ist, sondern nur alle zehn Jahre.
»Die Garage! Das Benzin!« schreit jemand und rennt mit schwarzem Gesicht über den Hof, den Oberkörper fast waagerecht vorgebeugt vor Eile und stürzender Hilfsbereitschaft. Es ist Birkner, der radikale Obmann des Betriebsrates und Führer der Streikpartei. Ein heller Kopf und ein Mann, der anfaßt und keine Angst hat. Er veranlaßt die Feuerwachmannschaft der Fabrik und die Düßwalder dazu, zuerst das Benzin in Sicherheit zu bringen. Das Garagendach, das sehr heiß ist, wird unter Wasser genommen, die Schuppen sind nicht zu retten. Sie sinken in ihr eigenes Brennen hinein, Balken nach Balken, es sieht aus, als zerschmelze langsam das schwarze Holz in der gelben Glut, auf der blaue, bewegte Räder tanzen. Obwohl es stiebt, prasselt, dort einstürzt, hier krachend aufschießt, macht alles zusammen doch den Eindruck einer sonderbaren Geräuschlosigkeit. Das kommt von dem stetigen und immergleichen Sausen und Kochen der Flammen unter den vorübergehenden Tönen, von der Stummheit der Löschenden und der Einsilbigkeit der Zuschauenden. Seltsam sind dabei die Fledermäuse. Sonst hingen sie zu Hunderten in den Dachbalken der beiden Schuppen, die feinen Krällchen in das Holz gebohrt und mit schlafenden Mäusegesichtern. Ein Instinkt hat sie beizeiten aus den gefährdeten Gebäuden gescheucht, nun aber, in der durchhellten Nacht sind sie ratlos, und ihr
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