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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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hatte er sich von meiner Freundin geben lassen. Als wir uns zum dritten oder vierten Mal trafen, las er mir aus seinem Manuskript vor. Ich saß in einer Ecke des Sofas, Hendrik auf einem Stuhl mir gegenüber. Er trug Jeans und ein weißes Hemd und hatte eine Stimme, von der später einmal jemand sagte, sie klinge wie ein Roman. Die Sätze drangen in mich ein wie Hitze oder Kälte, jedenfalls wie etwas, gegen das ich nichts ausrichten konnte. Viele Jahre später habe ich mich manchmal gefragt, ob ich mich an diesem Abend vielleicht weniger in Hendrik verliebt hatte als in seinen Roman; und in Brunos Traurigkeit, die ich, weil ich von den blauen Heften noch nichts wusste, in Hendrik vermuten musste. Hendrik ohne seinen Roman war damals undenkbar.
    Das Manuskript trug er in einer kleinen schweinsledernen Aktentasche immer bei sich, auch wenn wir ins Kino oder spazieren gingen. Sogar in der Wohnung nahm er es von einem Zimmer mit ins andere oder in die Küche, nachts lag es auf dem Fußboden vor seinem Bett.
    Es kam dann, wie alle außer Hendrik und Herrn Süß es befürchtet hatten. Nach jahrelangen Verhandlungen und sogar Rücktrittsdrohungen von Gottfried Süß blieb die Zensurbehörde bei ihrem abschlägigen Bescheid. Hendrik, der inzwischen schon an seinem zweiten Buch schrieb, konnte sich nicht damit abfinden, dass sein erstes als Leiche geboren sein sollte. Er fuhr zur Leipziger Buchmesse und übergab sein Manuskript einem Mitarbeiter des Suhrkamp Verlages. Einige Monate später kam ein Brief aus Frankfurt, in dem der Verlag sein Interesse bekundete und den Besuch eines Lektors ankündigte. Gottfried Süß machte seine Drohung, mit der er niemanden hatte erschrecken können, wahr. Er kündigte und übernahm den gerade frei gewordenen Direktorenposten des Heimatmuseums der kleinen thüringischen Stadt, in der auch sein Verlag residierte, den er nun geschlagen, aber aufrecht, wie er es sich versprochen hatte, verließ.
    Und ich habe dann bei Olgas fünfundsechzigstem Geburtstag ein Glas Rotwein über Rosis neues lachsfarbenes Kleid geschüttet.
     
    Rosi, Bruno und immer wieder Hendrik. Ich hatte nicht an Hendrik denken wollen; ich hatte mir verboten, an ihn zu denken. Nachdem er ausgezogen war, hatte ich eine Zeit lang geheult, ich weiß nicht mehr wie lange. Ich war krank wie ein angeschossenes Tier. Bis ich mir verboten habe, an ihn zu denken. Sobald ich trotzdem an ihn denken musste, habe ich mir befohlen, sofort an etwas anderes zu denken, an Fanny oder ein Bild oder an die ausstehende Steuererklärung, an irgendetwas, nur nicht an ihn. Ich halte nichts von Bewältigungstherapien und sogenannter Trauerarbeit, jedenfalls nicht bei so alltäglichen Vorkommnissen wie zerschlissenen Lieben. Hendrik hatte mich verlassen, daran war nicht mehr zu verstehen, als dass es so war. Nicht an ihn denken war die pazifistische Art, ihn zu töten. Wenn man sich zwingt, an jemanden nicht zu denken, trocknet dieser Jemand aus wie eine Mumie, er wird leicht und verwechselbar. Erst als ich so lange an Hendrik nicht gedacht hatte, dass er zur Mumie geschrumpft war, wagte ich, mich wieder an die Jahre mit ihm zu erinnern, an die Reisen nach Island und New York, an die ersten Jahre in Schöneberg, immer mit Hendriks schweigsamer und gesichtsloser Mumie an der Seite. Sogar als er mir bei Brunos Beerdigung leibhaftig gegenüberstand, erwies sich meine Mumienstrategie als wirksam. Meine Gefühle für ihn schienen sich seiner Schrumpfgestalt angepasst zu haben. Keine Liebe, kein Hass.
    Und plötzlich war er wieder aus Fleisch und Blut, nach zehn Jahren. Ich wollte nicht an Hendrik denken, ich musste meine Denkrichtung ändern, nicht rückwärts, sondern vorwärts, in die Zukunft, dahin, wo Hendrik nicht sein konnte. Hinter geschlossenen Lidern suchte ich nach einem Bild meiner möglichen Zukunft, aber nichts fügte sich zu etwas Erkennbarem, nur wildes Zucken und Flattern. Dann aber, als ich es fast schon aufgeben wollte, eine weiße Gestalt, liegend auf einem Tisch oder einem bettähnlichen Gestell, das Gesicht fahl wie von Mehl bestäubt. Ich, tot, meine Zukunft. Natürlich, was sonst. Jedermanns Zukunft war der Tod. Ich fand es passend, über den Tod nachzudenken, schließlich hatte er mich in diesen Park gelotst. Überhaupt hatte ich in letzter Zeit das Gefühl, der Tod schmuggele sich bedenklich oft und unvermittelt in meinen Alltag. Es kam vor, dass ich morgens das Haus verließ, die ersten Atemzüge der noch kühlen, von einem

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