Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
Kampf erklärt. Sollte ich mich geirrt haben, dann würde sie wenigstens wissen, dass ich eine Kämpferin war. Wer weiß, wenn sie unschuldig war, könnten wir sogar noch Freundinnen werden. Den Gedanken verwarf ich aber sogleich wieder, das wäre dann doch zu viel des Guten gewesen. Irgendwo musste auch ich meine Grenzen haben.
»Du willst wirklich alleine zu deinen Eltern fahren?«, fragte Phil mich, während wir Silvias Büro verließen und Richtung Tiefgarage gingen.
»Ich denke, dass es so besser ist. Ich werde ihnen dieselbe Geschichte erzählen, die ich auch schon Marie erzählt habe. Du kannst dir sicher sein, dass damit die Inquisition nicht beendet ist. Ich vermute, dass sie wissen wollen, warum ich in den Wochen zuvor immer so beschäftigt war. Du musst nicht dabei sein, wenn ich ihnen das Blaue vom Himmel herunterlüge«, verschmitzt blickte ich zu ihm auf.
»Damit ich nicht merke, wenn du mich anlügst? Kommst du nachher zu mir? Mein Bett ist ohne dich so leer!« Er beugte sich zu mir herunter und gab mir einen langen und leidenschaftlichen Kuss.
»Bei diesem Argument kann ich wohl schlecht nein sagen. Also bis später!« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, gab ihm einen kurzen Kuss und stieg in mein Auto ein.
Nach einem langen Abend bei meinen Eltern saß ich im Auto und fuhr zu Phil. Erstaunlicherweise hatten sie die Geschichte, die ich ihnen aufgetischt hatte, sehr gelassen hingenommen. Sie glaubten mir tatsächlich, dass in der Schule viel los gewesen war und ich deshalb kaum Zeit gehabt hatte, zumal ich auch noch frisch verliebt war. Ich wollte ihnen, zumindest was Phils und meine Beziehung anging, reinen Wein einschenken. Ich spielte unsere Beziehung ein wenig herunter und erklärte ihnen, dass ich kurz vor meinem Unfall angefangen hatte, mit ihm auszugehen, und es sich derzeit sehr gut anließe. Den Diskussionen, die sicherlich gekommen wären, wenn ich ihnen mitgeteilt hätte, dass es sich bei Phil um die Liebe meines Lebens handelte, wollte ich aus dem Weg gehen. Wie konnte ich ihnen erklären, dass ich mit diesem Mann alt werden wollte, wenn wir nach normaler Zeitrechnung erst wenige Wochen zusammen waren? Ich wollte mir nicht sagen lassen, dass ich übereilt handelte und die Sache erstmal langsam angehen sollte. Nicht, dass ich mir nachsagen lassen musste, dass es der Ruf des Geldes war, der mich so reden ließe. Da ich ihnen nicht sagen konnte, dass Phil und ich bereits so viel gemeinsam durchgemacht hatten, verzichtete ich schlicht und einfach darauf. Mit der Zeit würden sie feststellen, dass er ein fester Bestandteil meines Lebens war und es auch bleiben würde.
»Mist«, murmelte ich vor mich hin. Es fing an zu schneien – nicht nur kleine, harmlose Flocken, sondern dicke Gebilde fielen vom Himmel und blieben auf der Landstraße liegen. Das konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen. Hoffentlich würde es nicht schlimmer werden, bis zu Phils Wohnung war es noch ein ganz schönes Stückchen. Wenn nun wieder alle das Autofahren verlernten, konnte ich im schlimmsten Fall auf hoffnungslos überfüllten Straßen feststecken bleiben. Ein Blick auf die Straße vor und hinter mir ließ mich jedoch Hoffnung schöpfen. Kein einziger Autofahrer weit und breit, die Straße gehörte mir alleine. Fröhlich drehte ich beim Ertönen eines meiner Lieblingslieder das Radio lauter und sang lauthals mit. Ich fühlte mich so glücklich wie schon lange nicht mehr und hätte die ganze Welt umarmen können. Die dichter werdenden Schneeflocken hüllten meine Umwelt in ein freundliches Weiß ein. Still und friedlich wirkte alles um mich herum. Das plötzliche Auftauchen eines entgegenkommenden Fahrzeugs schreckte mich auf, so sehr war ich in meiner eigenen kleinen Winterwelt versunken gewesen, dass ich vergessen hatte, dass ich nicht alleine auf dieser Welt war. Aber was war das denn? Das Auto fuhr auf meiner Spur, dabei war der Fahrer gar nicht am Überholen. Hektisch ließ ich die Lichthupe aufleuchten, doch es nutzte nichts, unbeirrt fuhr das Auto in meine Richtung und kam immer näher. War der Typ etwa volltrunken oder lebensmüde? Immer und immer wieder ließ ich die Lichthupe aufleuchten und drückte abwechselnd auf die Hupe. Keine Reaktion. Inzwischen waren wir nur noch wenige hundert Meter voneinander getrennt. Ausgerechnet jetzt mussten wir die engste Stelle der Straße erreichen. Schon unter normalen Umständen war dieses Stück Straße gefährlich, schmal, teilweise ohne Markierung und
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