Zwischenwelten (German Edition)
Umgebung unterwegs. Sie achtet darauf, immer wieder von woanders her aufzutauchen, sodass sie einigermaßen ungreifbar bleibt. Mehr will ich nicht darüber sagen.«
»Ich hab überhaupt keine Lust, morgen früh so eine elend lange Strecke zu laufen«, knurrt Tio unzufrieden.
»Dann lass deine Freundin doch im Knast sitzen, oder versuch, deine Probleme selbst zu lösen. Geh morgen schön alleine nach Terrasse und nimm es mit Kivan und seinen Kumpanen auf, wenn du denkst, dass du das schaffst.«
Tio schweigt verärgert. Dann wirft er einen Blick auf die Hängematte. Vielleicht ist er ja vor lauter Müdigkeit so schlecht gelaunt. Eigentlich hat er Lust, jetzt schlafen zu gehen. Und wer weiß, vielleicht sieht die Welt morgen schon ganz anders aus.
Es ist das luxuriöseste Zimmer, das sie je gesehen hat, und Ayse schaut sich mit großen Augen um. Sie sitzt auf der Kante von Halas Bett, das groß und rund ist und auf dem unzählige weiche Decken und Kissen liegen.
»Hier sitze ich am liebsten«, sagt Hala mit einem zufriedenen Seufzen, »aber dazu habe ich nicht oft Gelegenheit. Ich muss dauernd alles Mögliche machen.«
»Was denn so?«
»Unterricht«, antwortet Hala. »Sprachen, Verwaltungswissenschaft und lästige Rechenaufgaben im Unterrichtsraum, Kampfsport im großen Saal und ganz zu schweigen von den vielen Navigationsprüfungen, die ich ablegen muss. Ich wünschte, ich wäre Kivan, der muss gar nichts tun.«
Ayse beißt sich auf die Lippe. »Dein Bruder denkt vielleicht ganz anders darüber und würde gerne mit dir tauschen. Er wäre bestimmt sehr gerne bedeutend!«
»Meinst du?«
»Das weiß ich ganz sicher.«
»Ja.« Hala zögert. »Manchmal hab ich auch den Eindruck, dass er sich unbedeutend fühlt. Er kann schließlich nichts dafür, dass er das Pech hat, als Junge geboren zu sein.«
Ayse kichert und lässt das Bett leicht hin und her schaukeln. Sie hat in Terrasse schon mehrmals in Hängematten geschlafen, doch Halas Bett kann man kaum noch Hängematte nennen. Es hängt an schweren Ketten von der Decke, die die riesige, wie eine Wanne geformte Bettstelle ein Stückchen über dem Holzboden pendeln lassen. Es macht wirklich was her. Auf dem Bett liegen die Runjistoffe, die Ayse inzwischen schon kennt, aber sie haben einen kupferfarbenen Glanz und erinnern Ayse an Goldfische in einem dunklen Teich.
Hala will alles von Ayse wissen: Wo sie herkommt, warum sie hergekommen ist, auf was für eine Schule sie geht. Ayse erzählt ihr ungefähr dasselbe, was sie auch schon Ika erzählt hat.
Hala seufzt. »Ich hätte es so gerne, dass wir auch noch herumreisen würden. Ich finde es total schade, dass ich das nicht mehr erlebt habe. Weißt du, ich komme aus diesem blöden Terrasse überhaupt nicht raus. Höchstens, um ein bisschen auf dem Meer herumzufahren.«
»Aber du bist doch ganz bestimmt schon mal in Sandbach gewesen?«
Hala macht ein unglückliches Gesicht. »Wenn es doch nur so wäre! Offenbar muss ich ständig beschützt und bewacht werden. Ich hab an meinem Unterricht teilzunehmen und sonst nichts. Ich darf kaum den Dhar Dhun verlassen, und wenn ich ein bisschen in die Gärten gehe, hab ich schon die Bewacher am Hals.« Ärgerlich zupft sie an den Decken auf ihrem Bett. »Sandbach hab ich aus der Ferne gesehen, als ich auf dem Meer war. Ich hab, glaube ich, ein paar Ziegeldächer und Türme erkannt. Ist es schön?«
»Es war schön«, rutscht es Ayse raus. Sie zögert, sagt dann aber entschlossen: »Bevor die Runji es zerstört haben.«
Vor Schreck hält Hala die Luft an. »Ja, davon hab ich gehört, ich schäme mich schrecklich dafür.«
Ayse macht den Mund auf, um etwas zu sagen.
»Nein, nein«, Hala winkt ab, »sag jetzt nichts. Es ist abscheulich.«
»Aber es ist doch nicht deine Schuld, dass geschossen worden ist.«
»Aber es war mein Volk, auch wenn das schon vor langer Zeit passiert ist.«
»Ja, aber euer Hafen ist doch auch in Brand gesteckt worden … früher.« Ayse hüstelt. »Hab ich gehört.« Sie überlegt kurz und beschließt dann, Hala einfach von den Salzländern zu erzählen, die sie kennt, von Valpa, dem alten Fischer, von dem freundlichen Wirt und von Sirpa und Sirje. Atemlos hört Hala zu. Ayse fragt sich, ob ihr überhaupt je etwas anderes als nur die Geschichte der Runji erzählt worden ist.
Sie will gerade von Thorpa und seinem Marktstand mit dem herrlichen Ziegenkäse berichten, als die Tür zu Halas Zimmer auffliegt. Es ist die Maile selbst, die in der
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