Zwischenwelten (German Edition)
nicht mehr.«
Als Ayse eine halbe Stunde später ihre Tür hinter sich geschlossen hat, fällt sie erschöpft aufs Bett. Tio hat das Zimmer neben ihr. Er wird auch auf seinem Bett ausgestreckt liegen, nimmt sie an, denn er war offensichtlich genauso müde wie sie. Doch schon nach wenigen Minuten steht Ayse wieder auf. Sie geht zum Fenster und blickt in den dunklen Abend. Ihr Fenster geht auf den Hinterhof der Herberge, und sie sieht den Baum, der inzwischen noch größer geworden ist.
»Und was ist, wenn es diesen Baum gar nicht gibt?«, fragt sie sich flüsternd. »Buba ist bestimmt ein Zauberer, wenn er das machen kann, ein mächtiger Magier. Es sei denn, dass es auch ihn gar nicht gibt. Oder vielleicht gibt es Buba schon, und er besucht Menschen in ihren Träumen, und ich träume das, weil er es sich ausgedacht hat und nicht mein eigenes Gehirn? Wie viele Kinderträume macht er wohl? Wie viele Träume kommt er besuchen? Es hat nur dann Sinn, wenn er Hunderte auf der ganzen Welt besucht. Hofft er vielleicht, dass alle Kinder, die einmal von dem, was sie hier sehen, geträumt haben, später nicht so werden wollen wie die Runji?«
Aber der Baum draußen wirkt echt, seine Blätter bewegen sich sanft im leichten Wind. Das Brot und die Nüsse liegen ihr schwer im Magen. Das Glas der Fensterscheibe, gegen die sie ihre Stirn gelegt hat, fühlt sich kalt und glatt an. Und sie ist müde, todmüde. Kann man in einem Traum so müde sein, dass man schlafen will? Wenn man dann schläft und dabei träumt, dann träumt man ja in seinen eigenen Traum!
Ayse schüttelt den Kopf und geht verwirrt ins Bett.
Lasje hat sogar noch etwas zu essen für sie zusammenkratzen können. »Es ist das gleiche Brot und die gleiche Butter wie gestern, aber ich bin heute früh schnell in einen Laden gegangen, um Feldbeerenmarmelade und ein paar Eier zu holen. Viel mehr hatten sie leider nicht, heute gab es keinen Käse und auch keine Milch, aber so kriegt ihr wenigstens ein bisschen was in den Magen.« Zufrieden tischt er ihnen ein wunderbares Frühstück auf.
Ayse macht sich sofort über ihr gekochtes Ei her und sagt: »In Terrasa haben sie auch nichts Besseres.«
Während sie noch beim Frühstücken sind, sehen sie Lasje mit jemandem vom Innenhof eintreten, den sie gut kennen: Valpa kommt wild gestikulierend hinter dem Wirt her.
»Aber warum ist dir denn der Baum so wichtig? Nur weil unser Städtchen danach benannt ist?«
»Das ist doch schon mal was«, knurrt Lasje. »Ich kann doch nicht einfach den allerletzten Baum von Sandbuche fällen!«
»Also, das musst du selbst wissen. Aber ich kann das Holz gut gebrauchen und würde dir eine schöne Summe dafür zahlen.«
»Ich hab gar nicht gewusst, dass du reich bist. Wie kommst du an so viel Geld?«
Valpa knurrt irgendeine Antwort.
»Bestimmt für die Runji, was?«, fragt Lasje und schüttelt den Kopf. »Wenn du meinen Baum, die Buche von Sandbuche, dafür brauchst, um ein Runjiboot daraus zusammenzuhämmern, dann hämmer ich auch was, nämlich auf deinen Kopf, damit du wieder klar denken kannst!« Lasje sagt das ganz gutmütig, nicht als ob er das tatsächlich so meint, doch Valpa macht ein säuerliches Gesicht.
»Denk noch mal drüber nach«, murmelt er und geht mit hochgezogenen Schultern, die Hände tief in die Jackentaschen geschoben, durch die Gasthaustür nach draußen.
»Werden Sie den Baum fällen?«, fragt Ayse sofort besorgt. »Den Baum auf dem Hof?« Sie schüttelt den Kopf. »Das wäre doch jammerschade!«
»Valpa ist ein sehr guter Zimmermann«, überlegt Lasje. »Und wenn ich sicher wüsste, dass er daraus nicht irgendeinen Mist für die Runji zusammenbaut, fände ich es vielleicht gar nicht so schlimm.«
»Arbeitet Valpa für die Runji?«, fragt Tio mit großen Augen. »Das hätte ich nicht von ihm gedacht.«
»Kennst du ihn denn?«, fragt Lasje erstaunt, während Ayse Tio einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein verpasst.
»Ja …«, stottert Tio. »Wir, äh … sind uns schon mal begegnet. Wir waren mal auf seinem Boot.«
»Auf seinem Boot?« Lasje lacht laut auf. »Das glaub ich kaum. Sein alter Kahn, der da so halb in den Sand eingesunken liegt? Der ist schon seit zehn Jahren nicht mehr geschwommen.« Zum Glück denkt er nicht weiter über das nach, was Tio gesagt hat. Wahrscheinlich glaubt er, dass der Junge sich einfach geirrt hat. »Aber um auf deine Frage zurückzukommen, ja, Valpa arbeitet für die Runji. Als Zimmermann. Sie sind sich heutzutage zu gut,
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