Zwischenwelten (German Edition)
paar Boote vor langer Zeit am Ufer eines nahen Flusses angelegt haben. Er grinst unsicher. »Müssen wir ein paar Level zurück die Anleger am Fluss kaputt machen oder so was? Damit die Runji fluchend weiterfahren?«
»Das ist eine Möglichkeit«, sagt Ayse bedächtig. »Aber können wir nicht vielleicht in Ruhe darüber nachdenken?« Sie geht weiter, aber nicht in Richtung Kiste. »Und nachdenken …«, sie schneidet Tio eine Grimasse, »… nachdenken will ich auf der gut besuchten Terrasse der alten Herberge bei einem dicken Pfannkuchen und einem großen Glas Feldbeerensaft!«
»Dann musst du aber nach Sandelenbach.«
»Genau.«
»Da war Krieg. Wir könnten aber nach Sandbach«, schlägt Tio vor. »Auch wenn da vielleicht schon alles überflutet ist. Da kommen wir klar, ich war schon alleine dort. Ich hab dir davon erzählt. Die alte Herberge hat alles überstanden, das wissen wir ja, und wir wissen auch, dass Lasje noch eine Kanne Honigsüß und den einen oder anderen Rest von irgendeinem Eintopf für uns hat.«
»Wo hast du sie hingelegt?«, fragt Ayse und bückt sich, um unter den Bänken nachzusehen.
Einen Augenblick lang bleibt Tio still. »Nein, hinter der Bühne«, sagt er dann unwillig. Er ist mit Ayses Plänen nicht einverstanden.
Die letzte Vorstellung für diesen Abend fängt gleich an, und Ayse schiebt Tio vor sich her an der Bühne vorbei und hinter das schwarze Tuch. »Schnell. Wenn dein Vater uns sieht, musst du wieder auftreten. Dann müssen wir zu lange warten, bis wir wieder nach Salzland können. Und ich müsste eigentlich schon längst im Bett liegen.« Sie stolpert hinter Tio her durch die Dunkelheit. »Ich krieg sowieso was zu hören, wenn ich nachher nach Hause komme. Also lass uns möglichst schnell losgehen.«
Ayse hat sich einen Plan zurechtgelegt, bei dem sie allerdings selbst noch nicht ganz sicher ist, ob er funktioniert.
Tio zieht die Entwürfe der Schwingen, die Ayse von den Runji mitgenommen hat, hinter einem Stuhl hervor, auf dem ein Stapel Kleidungsstücke liegt. »Sie sind ein bisschen verknittert, macht das was?«
Ayse klemmt sich die Papierrolle unter den Arm und geht als Erste durch die Kiste. In der Welt auf der anderen Seite ist es noch früher Morgen. Die Sonne scheint durch einen dünnen Schleier Morgennebel auf den lichten Wald.
»Selbst die Bäume sind hier jünger«, bemerkt Ayse. »Es war mir andersrum gar nicht aufgefallen, weil es so Schritt für Schritt ging.«
»Ist doch logisch«, findet Tio. »Weißt du noch, die Buche bei Lasje? Die ist auch ständig dicker und größer geworden.«
»Ja, bis sie umgehackt worden ist«, sagt Ayse. Sie geht schweigend weiter. Dann fragt sie plötzlich: »Glaubst du, dass jeder so werden kann? Wie die Runji, meine ich. Zu so einer überheblichen Bande von Ausbeutern? Würde jedes Volk, das ein bisschen schlau ist und ein bisschen Glück hat, sich so benehmen?«
»Die meisten tun das ja«, ist Tios eindeutige Meinung. »Du musst dich bloß mal umschauen. Nicht hier, bei uns, meine ich. Da ist es doch nicht anders.«
»Ich muss an den Vers von Micky denken. Ich weiß nicht warum, aber ich hab ihn behalten: ›Wer eine fremde Welt betritt, kriegt anderes, doch auch dasselbe mit.‹ Der Vers ist eindeutig noch nicht fertig, aber er hat mich dazu gebracht, mich zu fragen, ob zum Beispiel die Salzländer genauso wie die Runji werden könnten. Wenn es stimmt, was du sagst, dann könnten sie sich genauso verhalten. Und wenn ich den Salzländern diese Zeichnungen liefere, drehen wir dann die ganze Sache nicht einfach nur um? Dann haben wir Salzländer, die mit Schwingen gegen die Runji zurückschlagen. Stell dir vor, sie gewinnen, werden sie dann nicht auch überheblich und selbstgefällig?«
Tio denkt kurz darüber nach. »Vielleicht. So was kann man nie vorhersagen. Deshalb finde ich auch, dass wir gut überlegen sollten, bevor wir was machen.«
»Nein, das Beste, was wir machen können, ist eingreifen und dafür sorgen, dass die Salzländer eine Chance haben.«
Sie kommen da vorbei, wo früher der Bauernhof von Thorpa und Sirpa stand. Selbst die Warften sind jetzt größtenteils weggeschwemmt.
Tio und Ayse gehen schnell weiter. Es ist kein schöner Anblick.
»Mit ein bisschen Glück können wir dem zuvorkommen«, sagt Ayse leise.
Dann stehen sie vor dem Schild mit dem Ortsnamen. Es hängt immer noch ein bisschen schief.
»Sandbach«, liest Tio laut. »Gut ausgetüftelt. Wie willst du die Sache eigentlich angehen?
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