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Zwischenwelten (German Edition)

Zwischenwelten (German Edition)

Titel: Zwischenwelten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariëtte Aerts
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dann will ich nicht mehr hier sein.«
    Tio will gerade eine bissige Antwort geben, als er sieht, dass sie zittert und große ängstliche Augen hat. Er selbst ist überzeugt davon, dass sie hier nichts zu befürchten haben. »Es ist doch niemand da, vor dem man Angst haben müsste«, sagt er.
    Aber Ayse ist anderer Meinung. »Vielleicht ist niemand da, weil sie alle ermordet worden sind!« Sie zieht die Schultern hoch und sieht sich ängstlich um. »Vielleicht stürzen sich hier nachts Vampire aus der Luft herab und murksen jeden ab, der ihnen in die Finger kommt.«
    »Vampire murksen niemanden ab. Sie machen alle zu neuen Vampiren.«
    »Ja, und hier waren sie schon am Werk. Jetzt liegen sie alle in ihren Särgen und warten darauf, dass es dunkel wird.«
    Tio fängt vor Angst an zu kichern. Es wäre ihm lieber, wenn Ayse sich nicht so unheimliche Dinge ausdenken würde. Nicht mehr lange und er dreht durch, wenn sie nicht mit diesem Unsinn aufhört! »So was gibt es doch überhaupt nicht«, wendet er etwas unsicher ein.
    »Nein, und Kisten, durch die du von deiner eigenen Welt in … in …«, stottert Ayse.
    »Okay, ist ja gut.« Tios Blick gleitet noch einmal über die Häuser, über die Straßen, über die dunklen Schatten in den Gassen und über die Fenster, in denen sich die untergehende Sonne grell orange spiegelt. Nun zittert auch er. »Hm … gehen wir da lang zurück, in die Richtung … äh … wenn hier doch nichts los ist?« Nervös fuchtelt er mit den Händen. »Wir können am Wasser entlang …« Lieber hält er sich jetzt von den Häusern und den dunkler werdenden Seitenstraßen fern. Auf dem Kai kommt es ihm sicherer vor, übersichtlicher. Es sei denn, sie haben sich im Wasser versteckt, die Ungeheuer … Sofort sieht er grauenvolle Wasserwesen vor sich, die unter der spiegelnden Wasseroberfläche ihre schleimigen Klauen nach ihm ausstrecken. Schnell wirft er einen Blick auf die Kaimauer. Als er dort tatsächlich eine Bewegung sieht, klammert er sich in blankem Entsetzen an Ayse. »Hmnumenu!«, jammert er unverständlich.
    »Was?«, schreit Ayse sofort. »Wo?«
    »Da!«, zeigt Tio.
    Ängstlich starrt Ayse auf das plätschernde Wasser. Sie sieht, dass sich dort irgendetwas spiegelt, Formen und Bewegungen. Ihr stockt der Atem.
    Auf dem Kai gehen die Lampen an, und Ayse sieht die Reflexion der hohen Laternen auf dem Wasser. Das Bild schaukelt und tanzt auf den kleinen Wellen hin und her. Das ist nichts Besonderes, so spiegelt Wasser immer. Aber was bewegt sich dazwischen? Was sind das für undeutliche Formen, die auf dem Wasserspiegel schimmern?
    Ganz vorsichtig macht Ayse einen zögernden Schritt auf das Wasser zu. Sie klammert sich weiter an Tio fest, der sie noch immer am Ärmel ihres Shirts gepackt hält.
    »He, Tio … siehst du das auch?«
    »Ich … äh … ich weiß nicht, ob ich hingucken will.« Aber Ayse zieht ihn mit, sodass er nun dicht an der Kaimauer steht. Er späht ins Wasser. Und jetzt sieht er sie auch. Klar und deutlich. Menschliche Gestalten. Sie bewegen sich über ihren eigenen Kai, den Kai, der sich auf dem Wasser widerzuspiegeln scheint. Tio schaut um sich. Wo sind sie nur? Nicht auf diesem Kai, wo sich Ayse und er befinden, sondern im Wasser.
    Das ist eindeutig das Seltsamste, was sie in dieser unwirklichen Welt zu sehen bekommen.
    Tio schaut über seine Schulter. Wenn er dem Spiegelbild trauen kann, müssten genau in diesem Augenblick hinter ihnen die Menschen entlanglaufen, die er gerade im Wasser gesehen hat. Er beugt sich wieder über die Kaimauer und sieht ein anderes Spiegelbild: Ein paar Meter weiter lehnt ein Mädchen lässig – eine Zigarette zwischen den Fingern – über derselben Mauer, an die auch er sich lehnt. Sie stößt eine Rauchwolke aus und scheint ihn anzuschauen.
    Ayse folgt seinem Finger in Richtung des Mädchens, das sich da über die Mauer beugt. Sie steht da, wie man nun einmal rumhängt, wenn man ungefähr sechzehn ist, egal in welcher Welt – gleichgültig, eigensinnig, lustlos. Ayse geht ein paar Schritte näher. Sie mustert die Kleidung des Mädchens, aber die kleinen Wellen im Wasser machen es schwer, alles genau zu erkennen. Doch es sieht aus, als hätte sie eine Bluse an, die der aus dem Laden ähnelt. Ayse kann nicht sehen, was sie noch trägt, Hose oder Rock oder was sonst, denn die Beine des Mädchens sind von der Kaimauer verdeckt.
    »Sollen wir dahin?«, fragte sich Tio laut. Nachdenklich schaut er ins Wasser.
    »Bist du

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