Zwischenwelten (German Edition)
Eis mit Rumbabohnengeschmack. Witzig. Das probier ich mal.«
»Und?«, fragt Tio, nachdem Ayse ein paar kleine Bissen genommen hat.
»Schmeckt ein bisschen nach Schokolade mit Haselnüssen … nein, Walnüssen … Hm, schon gut, aber ich weiß eigentlich gar nicht, wonach es wirklich schmeckt. Bisschen bitter.«
Nach einer guten Dreiviertelstunde gehen sie wieder zum Ausgang und kommen an einem Kosmetikregal vorbei.
»Wär vielleicht gar nicht so dumm: Da liegen Zahnbürsten«, meint Ayse.
Tio zieht die Augenbrauen hoch. »Ein anderes Mal, einverstanden?«
Es ist schon sehr lustig, in einem bestens bestückten Laden nach allem greifen zu können, worauf man Lust hat, doch als sie wieder eine Weile durch das Städtchen gelaufen sind, wird es allmählich langweilig, ganz allein durch leere Straßen zu gehen, wo nichts passiert, niemand zu sehen ist und keine Geräusche zu hören sind.
»Das sind wirklich schöne Geschäfte hier«, versucht Ayse sich aufzumuntern. »Die Türen sind offen. Kommst du mit rein, nur mal gucken?«
»In welches?«
»Das hier.«
»Ach du je, ein Klamottenladen. Ich hasse es, neue Klamotten zu kaufen«, murrt Tio. »Das muss ich mindestens zweimal im Jahr mit meiner Mutter. Also, wenn ich hier zum Spaß rumlaufe, dann mache ich so was nicht.«
»Dann gucke ich halt alleine …« Ayse betritt das Geschäft, geht zu einem Kleiderständer und schaut sich die Farben und Modelle an. »Mensch, das ist vielleicht ein komisches Zeug. Guck doch mal!« Sie zieht eine lange Bluse aus einem Regal und hält sie sich an den Körper. »Die ist schön, aber irgendwie altmodisch. Die anderen Sachen auch. Vielleicht nicht alle, aber die meisten.«
»Altmodisch? Das ist doch einfach ein weißes Hemd.«
»Pfff«, macht Ayse ungläubig. »Dann bist du kurzsichtig!« Sie geht ein paar Schritte weiter und nimmt ein Hemdblusenkleid, das aus einem braunen, grob gewebten Stoff genäht ist. »Das würde gut zu einer mittelalterlichen Ziegenbäuerin passen.« Langsam und zögernd hängt sie das Kleid zurück. »Sag mal, sind wir hier vielleicht in einem anderen Land? Ich meine …« Ayse kaut auf ihrer Unterlippe. »Auf jeden Fall haben sie hier eine andere Mode. Und im Supermarkt hab ich auch Sachen entdeckt, die ich nicht kenne.«
»Aber die Sprache auf den Verpackungen? Da hab ich nichts Fremdes bemerkt, nicht mal irgendwie seltsame Begriffe oder so was. Na ja, wir sind durch die Kiste geklettert, also sind wir jetzt auf einem anderen Level.«
»Ein Level, auf dem die Spielfiguren vergessen worden sind.«
»Ja, die Mitspieler.«
»Oder Widersacher.«
»Auf die du sonst immer schießen kannst.«
»Wir haben doch keine Pistolen. Da ist das schon ganz gut so.«
Tio und Ayse lächeln sich gequält an. Sie wollen sich nicht eingestehen, dass ihnen ihre Situation allmählich reichlich unangenehm ist, sondern geben sich Mühe, sich gegenseitig davon zu überzeugen, dass sie alles schrecklich lustig finden.
»Also, mir ist es sowieso lieber, dass das eine Adventure ist, bei der man nur die Rätsel lösen muss«, sagt Tio. »Ich mag die Ballerspiele nicht.«
»Ich eigentlich schon. Aber wenn das hier eine Adventure ist, was sollen wir dann machen?«
»Auf Escape drücken«, murmelt Tio. Er tritt gegen den Metallfuß eines Kleiderständers und verlässt den Laden.
Je mehr Zeit in Stille und Einsamkeit verstreicht, desto stärker drängt Ayse darauf, dass sie zurück in den Wald gehen sollten.
»Aber die Kiste ist weg.«
»Wir können doch nachsehen, ob sie inzwischen wieder da steht.«
Tio ist anderer Meinung. Er hat das Gefühl, dass etwas von ihnen erwartet wird, dass sie etwas unternehmen müssen. »Aber wir haben die Lösung doch noch nicht gefunden.«
»Vielleicht muss das gar nicht sein. Das haben wir uns selbst ausgedacht, dass es einen Auftrag geben könnte. Vielleicht sollten wir uns einfach nur mal hier umsehen.«
Es dauert nicht lange, und es kommt wieder zum Streit, zu einem Streit mit vielen Worten, der nach kurzer Zeit in bedrückendes Schweigen mündet. Stumm laufen sie nebeneinander her.
Sie bummeln am Kai entlang und setzen sich auf eine Bank, um über das Wasser zu blicken. Sie klettern in ein Boot, das dort an gespannten Seilen auf dem Wasser schaukelt, und beugen sich über die Reling.
Als sie wieder hungrig sind, essen sie in dem menschenleeren Supermarkt.
Doch als es Abend wird, rebelliert Ayse. »Mir reicht’s jetzt. Ich will nach Hause. Es wird schon bald dunkel, und
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