Zwischenwelten (German Edition)
Läden leer, wenn du mal einen Moment nicht aufpasst.« Plötzlich lässt sie die Tüten fallen. »Ich bin todmüde.« Sie sieht mit einem Mal gar nicht mehr lustig aus.
»Vielleicht sollten wir einfach irgendwo zum Schlafen hingehen«, schlägt Tio vor. »Das Mädchen hat doch gesagt, wir können hier schlafen. Außerdem ist es schon spät, und wir haben so viel erlebt. Ich weiß nicht, ob wir zu Hause vermisst werden. Vielleicht steht die Zeit ja still, solange wir hier sind. Buba ist sicher schlau genug, sich da was auszudenken. Nachts im Traum kannst du ja auch in aller Ruhe hin und zurück nach Timbuktu reisen, obwohl du nur acht Stunden schläfst. Ich jedenfalls will nicht im Dunkeln an dem Bauernhof vorbei und durch den Wald zurückgehen. Du vielleicht? Und dann auch noch nur, um festzustellen, dass die Kiste immer noch weg ist. Und wenn hier niemand ist, sollen wir dann nicht zu dem Gasthaus in der schmalen Straße gehen, zu dem mit den Pfannkuchen?«
»Und was haben wir davon? Da ist niemand, der uns Pfannkuchen machen kann.«
»Aber ein Gasthaus hat doch Betten.«
»Ja … meistens schon.«
Tio hebt eine von den Tüten auf, die Ayse fallen gelassen hat. »Komm, ich weiß noch, wo das war.«
Sie gehen unter dem gelblichen Licht der Laternen an den dunklen Häusern entlang bis zu der Gasse, wo sie in der bewohnten Welt die Herberge gesehen hatten.
»Ich denke, das hier ist es«, sagt Tio.
Ohne Menschen, ohne stimmungsvolle Beleuchtung und Tische voller Teller sieht es ganz anderes aus.
Tio spürt, dass Ayse ihre Bedenken über Bord wirft. »Warte mal kurz«, sagt er und rennt über die leere Terrasse. Die Tür der alten Herberge ist nicht abgeschlossen, und er stürmt hinein. Eifrig sucht er nach Lichtschaltern und findet auch einige: für die Lampen über der Bar, für die Flur- und Treppenbeleuchtung und für die langen bunten Lichterketten draußen auf der Terrasse. Als er alles eingeschaltet hat, rennt er wieder hinaus. Da blickt ihm Ayse fröhlich grinsend entgegen. »Na, ist das ein Unterschied?«, fragt er, aber eigentlich weiß er die Antwort schon. Er dreht sich um und betrachtet sein Werk. Die Herberge sieht jetzt wirklich aus wie ein gemütliches Gasthaus, in dem man gut die Nacht verbringen kann.
Ayse wird von einer leichten Bewegung auf ihrem Fußende geweckt. Erschrocken macht sie die Augen auf.
In ihrem Zimmer ist es hell, und über ihre Decke läuft eine rot gestreifte Katze. Verwirrt setzt sich Ayse auf und blinzelt in das helle Tageslicht, das durch die halb geöffneten Vorhänge dringt.
»Miau!«, beschwert sich die Katze.
Ayse hält ihr die Hand hin. Die Katze kommt näher und lässt sich unter dem Kinn streicheln. »Können Tiere zwischen zwei Welten hin und her wechseln?«, fragt Ayse die Katze laut. »Bist du auch über die Treppe gekommen? Oder gibt es dich einfach in beiden Welten?«
»Miau!«, drängt die Katze.
Da versteht Ayse. »Du hast Hunger. In dieser Welt gibt es ja keine Menschen. Hast du wenigstens ein paar Mäuse fangen können?« Sie schiebt die Decke weg, lässt die Beine aus dem Bett gleiten, bleibt aber noch kurz sitzen und blickt zu den flatternden Vorhängen. Dicht beim Fenster hört sie eine Amsel singen, doch sonst ist es draußen still. Was für ein Glück. Sie stellt sich vor, die beiden Welten wären über Nacht aus irgendeinem Grund ausgetauscht worden. Dann wäre sie in einer bewohnten Welt aufgewacht und müsste eine Übernachtung bezahlen, für die sie kein Geld hat. Aber als sie die Tür zum Flur aufmacht, sieht sie, dass alles so ist wie am Abend zuvor. Im Vorbeigehen betrachtet sie sich im Spiegel. Die violette Hemdbluse ist vom Schlafen ein wenig verknittert, aber sie kann sie einigermaßen glatt streichen. Wenn sie in das bevölkerte Städtchen zurückgehen, muss sie nur die Mütze wieder aufsetzen, um nicht aufzufallen.
Die rote Katze folgt ihr miauend die Treppe hinunter.
Tio sitzt bereits unten und wartet ungeduldig. »Wenn das noch lange gedauert hätte, wäre ich dich holen gekommen!«
»Du hättest ja auch irgendwie ein Frühstück für uns besorgen können.«
Tio zeigt mit dem Daumen über die Schulter in Richtung Küche. »Nicht nötig. Da ist ein Tiefkühlschrank voll mit Zeug. Nicht so lecker wie im Supermarkt, aber ich hab einen großen Becher Eis aufgetrieben. Steht auf der Anrichte.«
Der Aufschrift nach ist es wieder das Eis mit dem seltsamen Rumbabohnengeschmack, aber diesmal mit Rosinen und kleinen roten
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