Zwischenwelten (German Edition)
Er ist schon beim Zusammenräumen – der Markt geht auf sein Ende zu. Und schau mal an, wer gekommen ist, um ihm zu helfen!
Ausgelassen und erleichtert ruft Ayse dem Mädchen hinter dem Stand zu: »He, hallo!«
»Hallo!«, ruft Sirje strahlend zurück. »Thorpa, Thorpa! Weißt du, wer das ist?« Sie zieht ihren Vater ungeduldig am Ärmel seines weißen Hemds. »Das ist Ayse.«
Thorpa schaut Ayse ein paar Augenblicke nachdenklich ins Gesicht. Ja, er meint, sie schon einmal gesehen zu haben, aber wo und wann?
Sirje erklärt ihm, wieso sie Ayse kennt. »Aber das hat Sirpa dir doch erzählt. Weißt du das nicht mehr? Sie waren zu zweit und haben uns einen ganzen Nachmittag geholfen, Schutt von unserem Hof zu räumen, kaputte Dachziegel und so.«
Thorpa nickt Ayse zu, sagt aber nichts.
»Sie und Tio sind Artisten«, ruft Sirje strahlend. »Sie sind von der ältesten Wanderbie… Bohn…«
»Wanderbühne«, hilft Ayse.
»Ja …«, sagt Thorpa nachdenklich und schaut Ayse durchdringend an. »Sirpa hat mir so was erzählt. Ihr seid nicht von hier.«
»Und wir kriegen Freikarten!«, sagt Sirje, und ihre Augen glänzen vor Begeisterung. »Stimmt doch?«
Mist, denkt Ayse. Das Mädchen hat alles behalten, was Tio ihr versprochen hat.
»Tretet ihr heute Abend schon auf, Ayse?«, will Sirje wissen. »Und wann können wir kommen?«
»Nein, nein, heute Abend noch nicht«, beeilt sich Ayse zu sagen. »Ich denke mal, morgen oder übermorgen oder so …«
»Und was machst du heute Abend?«, fragt das Mädchen neugierig.
»Puh … keine Ahnung.« Ayse lacht unbehaglich. »Mich langweilen.«
Sirje hüpft von einem Bein aufs andere und zieht ihren Vater wieder am Ärmel. »Oh, Thorpa, kann Ayse mit zu uns zum Essen kommen?« Ihre Begeisterung kennt keine Grenzen. Sie hat gesehen, dass Ayse lange Haare unter ihrer Mütze verbirgt, sie zipfeln immer wieder darunter hervor, und an den Füßen hat sie so witzige Schuhe! Es ist auch deutlich, dass Ayse nicht einmal weiß, wie sie das Band um ihre Hüfte zu binden hat. Am schönsten aber findet Sirje, dass sie Schmuck an den Ohren trägt, was Sirje noch nie bei einer Frau oder einem Mädchen gesehen hat. In Sandelenbach haben nur die alten Fischer den Mut, sich goldene Ringe durch die Ohrläppchen zu stechen. Der Junge hat auch so fremd ausgesehen, so ganz offensichtlich nicht von hier, mit verrückten Schuhen und viel zu langen Haaren – bis über seine Ohren. Ja, und komisch hellbraun waren seine Haare, nicht fast schwarz wie die der Salzländer, aber auch lange nicht so hell und silbrig wie die der Runji.
Ayse, die immer noch glaubt, dass sie völlig nach der hiesigen Mode und den Gewohnheiten hier angezogen ist, lächelt Sirje an. Sie ist sich der kleinen Unterschiede zwischen sich und den Salzländern überhaupt nicht bewusst und glaubt, unbeachtet herumlaufen zu können. Ihr fallen die Einzelheiten nicht auf, doch für die Menschen, die hier leben, sind sie so offensichtlich, als hätte sie sich eine große Pappnase aufgesetzt.
»He, Thorpa, geht das? Bitte! Thorpa … sag ja! Dann kann sie uns noch mehr über die Wanderbühne erzählen. Bitte, bitte!«, drängt Sirje.
»Also …«, fängt Thorpa an.
»Es gibt heute Abend eine Quiche. Hast du das schon mal gegessen? Das ist ein echtes Sandelenbacher Gericht, und niemand kann sie so gut machen wie Thorpa.« Sirje schaut mit bettelnden, flehenden Augen zu ihrem Vater hoch.
Ayse hat den Eindruck, dass Thorpa überhaupt keine Lust hat, jemand Fremdes an seinem Tisch sitzen zu haben, und schaut unbehaglich weg. Da trifft sie plötzlich den Blick des jungen Mannes, der ihr gefolgt ist. Er steht zwei Stände weiter, und als sie ihm unerwartet ins Gesicht starrt, beugt er sich über irgendwas und tut so, als würde er es gründlich betrachten. Ayse schaut den Stand genauer an. Seifen. Der Typ ist enorm an Seife interessiert. Ja. Was will er von ihr? Könnte er ihr gefährlich werden, wenn sie gleich alleine weitergeht? Hat sie etwas von ihm zu befürchten? Ayse hebt die Mundwinkel zu etwas, von dem sie hofft, dass es einem Lächeln ähnelt, und fragt Thorpa: »Quiche?«
Thorpas Blick wechselt noch einmal zwischen dem fremden Mädchen und seiner Tochter, die ihn erwartungsvoll anschaut, dann stimmt er zu. »Also, dann los. Aber nur, wenn Ayse das auch selber will.«
»Hm, oh … Ja … finde ich gut«, antwortet Ayse und nickt. Und dann übertrieben laut und deutlich: »Ich sag nur mal eben Bescheid, dass ich mit
Weitere Kostenlose Bücher