Zwischenwelten (German Edition)
Schubs. »Gehen wir?«
»Wenn du so weit bist«, sagt Ayse überheblich. »Genug gegessen?«
»Jawolll! Aberrr … was wollen wir eigentlich machen?«
»Natürlich nach dem Runjidorf schauen, nachsehen, ob sich da was verändert hat.«
»Bewohnt oder unbewohnt?«
»Unbewohnt, würde ich sagen. Du magst ja ein paar Runji richtig nett finden, aber … ich glaub, ich mag sie immer noch nicht.«
Tio tut so, als ob er die letzten Worte nicht hört, und geht munter vorweg, durch schmale Seitenstraßen hinaus aus der Stadt.
Die ersten Sträßchen steigen leicht an, dann fallen sie zum Fluss hin ab. Nach den letzten Häusern geht Sandbachs Wohngebiet in eine Landschaft mit ungepflegten Gärten und Bauernhöfen über, die aber schnell von der Wildnis des Flussufers mit Bäumen und Weidengebüsch abgelöst wird. Ayse und Tio wissen noch vom letzten Mal, dass sie ganz von allein zum Runjidorf kommen, solange der Fluss links von ihnen ist. Früher war das ein Weg von nicht mal zwanzig Minuten, heute fangen sie nach wenigen Minuten aus tiefster Seele an zu schimpfen und zu maulen.
»Mensch, warum ist es hier bloß so sumpfig!«, ruft Ayse. »Hier, guck dir das mal an, der Schlamm geht mir schon bis an die Knöchel!«
»Gehen wir doch weiter oben«, schlägt Tio vor und zeigt auf die etwas höher liegenden Felder rechts von ihnen.
Kurz scheint es dort etwas besser zu gehen, doch auch hier sacken sie schnell tief in den Matsch ein.
»Mir reicht’s«, schimpft Ayse. Sie ist ausgerutscht und auf ihr linkes Knie gefallen und starrt sauer auf einen hässlichen braungrünen Schlammfleck auf ihrer Hose.
Was als matschiger Boden begonnen hat, der bei jedem Schritt nachgibt, ist zu einem schlammigen Morast geworden, der keinen Halt mehr bietet.
Trotz Ayses wütenden Schreien stolpern sie noch ein Stückchen weiter. Sie halten sich aneinander fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Und nun?«, fragt Ayse, als sie vor einer tiefen Pfütze haltmachen, die sich meterweit in alle Richtungen erstreckt.
Zögernd geht Tio ein Stückchen an der Pfütze entlang, bis er einen dicken umgestürzten Baum über die Wasseroberfläche ragen sieht. Er klettert hinauf und versucht, sich auf diese Weise einen Weg durch den morastigen Grund zu bahnen. Es liegen mehrere Bäume wie gefallene Riesen in den Morasttümpeln, und überall ragen nackte Baumwurzeln in die Luft.
»Was ist hier bloß passiert, während wir weg waren?«, murmelt Ayse, greift nach einem nassen, glitschigen Ast und kann sich so gerade noch auf einer spiegelglatten Baumwurzel halten. »Eine Überschwemmung?«
»Sieht ganz so aus.« Tio nickt. Er seufzt vor Erleichterung, als er wieder etwas festeren Grund unter den Füßen hat, und kämpft sich entschlossen weiter voran.
Ayse folgt ihm und bemüht sich, genau in die Abdrücke von Tios Sandalen zu treten, doch er hat die längeren Beine und geht viel zu schnell. Gerade als Ayse weinerlich ruft: »Wir hätten genauso gut durch den Fluss schwimmen können, ich bin klatschnass!«, bleibt Tio stehen und dreht sich zu ihr um.
»Komm schon, du bist gleich da. Hier wird es wieder trockener.«
»Das glaubst du doch selbst nicht, oder?«, fragt Ayse verzagt. Dann sieht sie sein lachendes Gesicht, räuspert sich und macht den tapferen Versuch, ihre Stimme wieder normal klingen zu lassen. »Ich hab es jetzt wirklich satt!«, schimpft sie.
»Ich auch«, gibt Tio zu. »Hier ist wieder normaler Sand. Ich glaube, das ist die Stelle, wo ich von Maile aus dem Wasser gefischt worden bin. Gleich da drüben ist ein Steg, und ich denke, wenn wir hier …«, er zeigt nach vorne, »… weitergehen, dann sind wir da. Hier ist ein Pfad. Dann muss hier ungefähr …« Er zwängt sich durch die letzten Schilfbüschel und steht dann tatsächlich am Rand des Runjidorfs. Doch was er sieht, entspricht kein bisschen seinen Erwartungen. »Da wirst du doch verrückt!«, stößt er hervor.
Ayse schiebt ihn neugierig und ungeduldig zur Seite. Minuten vergehen, bis die beiden die Siedlung der Runji betreten, die sich um unzählige Brücken, Gebäude und Terrassen erweitert hat.
»Das ist kein Dorf mehr, die haben daraus eine richtige Stadt gemacht!« Ayse sagt als Erste wieder etwas. Sie spürt, wie die Stege und Brücken unter ihren Füßen sanft auf und ab schwanken, und fügt hinzu: »Und sie bauen immer noch alles mit diesen Terrassen auf dem Wasser. Wie ist das möglich, eine ganze Stadt aus Holz, die auf dem Wasser schwimmt! He, und da
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