Zwischenwelten (German Edition)
sieht so aus. Und Fische, überall Fische.«
»Immer noch.« Tio nickt. »Sie haben es immer noch mit Fischen.«
»Und mit Wasser«, sagt Ayse, während sie mit dem Finger auf dem Relief den Linien der anrollenden Wellen folgt. »Flüsse, Seen, Wasserfälle, Springbrunnen. Wasser, Wasser, Wasser.«
»Ich glaube, das ist noch stärker geworden als früher«, stimmt Tio ihr zu. »Schon als ich das erste Mal hier war, hatte ich den Eindruck, dass die Runji das Wasser verehren. Oder die Fische.«
»Deshalb auch ihre Kleidung«, sagt Ayse und zupft an Tios Hose. »Das Silbrige, wie Fischschuppen.«
»Die tragen sie noch immer«, weiß Tio, der in Sandbach ein paar Runji auf der Straße gesehen hat. »Ich weiß nur nicht, ob sie auch noch diese Kopftücher haben. Die Runji, die ich vorhin gesehen hab, sind alle mit kahlem Kopf rumgelaufen. Ist auch einfacher als mit den langen Tüchern, die sie sich umwickeln mussten. Aber sie wirken nicht, als ob ihnen ihr Aussehen egal wäre. Man sieht sie nie in irgendwelchen ollen Klamotten wie bei uns die Leute in irgendwelchen schlabbrigen Pullovern und ausgebleichten Jeans.«
»Das stimmt.« Ayse ist es auch aufgefallen. »Im Gegensatz zu den Salzländern, die tragen Kleidung, die vor allem was aushalten kann.« Sie fühlt nach dem grauen, kratzigen Stoff ihrer Jacke. »Und die Salzländer bauen auch nicht gerade elegant. Na ja, eigentlich mehr so wie bei uns, einfach ein bisschen langweilig.«
»Obwohl Sandelenbach sehr schön war, bevor es so verfallen ist.«
»Vielleicht sind sie arm«, überlegt Ayse.
»Und du meinst, die Runji sind reich? Wovon sind die Runji dann reich geworden?«
»Von all den Fischen, die sie gefangen haben – und die sie wahrscheinlich noch immer fangen.«
»Und dann verkaufen.«
»An die Salzländer.«
»Weil die selbst mit ihren alten Fischerbooten nicht besonders erfolgreich sind?« Tio prustet höhnisch. »Was für Trottel.«
»Die Runji waren einfach schlauer und schneller beim Fischen«, wirft Ayse ein. »Und wer weiß, wie viele Salzländerboote sie mit ihren Waffen versenkt haben.«
Ayse sieht die Tür weiter vorne im Gang zuerst, und beide wollen nun endlich wissen, wozu dieses Gebäude dient. Sie gehen schneller und sind sich für kurze Zeit wieder einig.
Durch die Tür treten sie in einen großen Raum.
Zögernd bleiben sie in der Türöffnung stehen.
»Ein Schwimmbad?«, murmelt Tio.
»Ein Teich im Haus? Einfach nur zur Zierde?« Nachdenklich betrachtet Ayse den glatten Boden, das flache Becken in der Mitte, die Bänke rundum und die Säulen, die den Raum beinahe klassisch wirken lassen. »Ein Badehaus.« Sie geht bis ans Wasser. »Es ist nicht tief genug, um richtig drin zu schwimmen. Wenn ich reinginge, würde es mir ungefähr bis zur Hüfte reichen.« Sie kniet sich auf den Rand und hält die Hand ins Wasser. »Lauwarm!«, sagt sie überrascht. »Es wär bestimmt schön, da drin rumzuplanschen.«
Tio grinst breit. »Was hindert dich? Ich guck nicht hin.«
»Jaja«, faucht Ayse, »wer’s glaubt, wird selig.«
Da streift Tio zu Ayses Überraschung die Sandalen ab. »Und wenn ich mich zuerst traue?«
Ayse rümpft die Nase. »Ganz nackt?«
»Nein, ich lass die Unterhose an.« Tio ist bereits mit seinen Knöpfen beschäftigt. Aber er ist doch schamhafter, als er tut, und als er seine Klamotten fast schon ausgezogen hat, sagt er knapp: »Mach die Augen zu.«
Es dauert nicht lange, bis Ayse, die neidisch zugesehen hat, wie Tio im warmen Wasser planscht, zögernd anfängt, an den Riemen ihrer Sandalen zu zupfen. »Ist es schön?«
»Wunderbar! Aus dem Springbrunnen in der Mitte kommt warmes Wasser, genau wie bei einer Dusche. Jetzt mach schon, du Zicke. Du weißt gar nicht, was du verpasst.«
»Nur, wenn du versprichst, wirklich nicht zu gucken.«
Tio dreht sich brav um und betrachtet eine Weile den sprudelnden Springbrunnen, bis er Ayse hinter sich sagen hört:
»Okay. Ich bin drin.«
»Angenehm, was? Und nicht nur das. Ich finde es auch ein sehr schönes Bad«, sagt Tio und schaut sich anerkennend um. »Mit dem blauen Mosaik und so.«
»Mosaik?«
»Die Fliesen hier und am Rand. Und die Sockel der Säulen, als ob da blaue Steinchen eingelegt wären.«
Ayse runzelt die Stirn. »Da sagst du was …« Sie fährt mit dem Finger über die Fugen zwischen den kleinen Steinen. Dann dreht sie sich um und blickt Tio nachdenklich an. »Es ist verrückt. Das haben sie früher nicht gemacht. Da war immer alles aus
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