Zwischenwelten (German Edition)
zusteuert.
»Kaufen?«, wiederholt Ayse lachend.
»Klauen.« Tio grinst.
Ayse drückt eine Klinke runter. Genau wie im leeren Sandbach ist auch hier keine der Ladentüren verschlossen. Ausgelassen betritt sie das Bekleidungsgeschäft. »Ich will auch so eine Hose. Und …«, sie kommt an einem drehbaren Kleiderständer mit hübschen Blusen vorbei, »… und die will ich! Oh … und so eine!«
Das Licht der Straßenlampen, das hereinfällt, reicht gerade aus, um die richtigen Sachen auszusuchen, und ziemlich bald geht Ayse mit einem großen Bündel über dem Arm durch den Laden.
»He, Ayse.« Tio macht ein bedenkliches Gesicht. »Wir müssen das Zeug auch mitnehmen können. Schleppst du das alles selbst? Ich mach das jedenfalls nicht für dich!« Er selbst nimmt auch hier und da was von einem Ständer. »Ich will nur noch eine von diesen Hosen, falls die hier dreckig wird.«
»Das ist sie schon.
»Das bisschen Matsch? Na gut, also dann zwei Hosen.«
»Die Männer tragen hier solche Hemden.« Ayse zeigt darauf. »Das silbrige mit den schwarzen Streifen ist schön.« Sie streicht mit den Fingern über den schuppigen, glänzenden Stoff. »Oder nimm das hier.«
Etwas unwillig lässt sich Tio in ein perlmuttfarbenes Hemd helfen.
»Da ist ein Spiegel.«
Tio betrachtet sich. »Jetzt sehe ich aus wie ein groß geratener Hering.« Aber eine halbe Stunde später verlässt er doch mit einem vollgepackten Rucksack das Geschäft.
Ayses Rucksack ist womöglich noch voller.
Sie gehen weiter, vorbei an einem Laden mit für sie unlesbaren Büchern, und kommen zu einem Geschäft, wo es nach süßem Brot duftet und an dem sie nicht vorbeikönnen, ohne sich mit einer ordentlichen Ladung Leckerbissen zu versorgen. Und sie kommen an einem Geschäft vorbei, wo alle möglichen Sorten von pastellfarbenem Papier ausgestellt sind. Und natürlich fehlen die Fischgeschäfte nicht, doch auf Fisch haben sie alle beide keine Lust.
»Hier gibt es keinen Supermarkt«, stellt Ayse fest.
»Richtig nett«, meint Tio, der vor einem Schaufenster stehen geblieben ist, hinter dem er einen Gemüseladen vermutet. »Noch was Gesundes?«, fragt er.
»Puh, nein.« Ayse grinst. »Oder warte mal … sind das Limoflaschen da auf dem Brett hinter der Kasse?«
Tio holt ein paar Flaschen für sie, erbricht das Siegel über der Öffnung und zieht den Stöpsel heraus. Dann riecht er kurz daran, bevor er sich einen Schluck zu nehmen traut. Das rote Getränk ist sauer und scharf, und vor Schreck verschluckt er sich.
»Eklig?«, fragt Ayse enttäuscht.
»Das sind die zitronigsten Zitronen, die du jemals probiert hast.«
Ayse nimmt auch ein Schlückchen. »Ui«, gluckst sie. »Das schmeckt wie die Bonbons mit dem Brausepulver drin. Kennst du die? Das hier ist ganz ähnlich, nur flüssig.«
»Ja, und zehnmal stärker. Meine Zunge ist richtig zerfressen von der Säure.« Tio betrachtet die Flasche von allen Seiten. »Ich glaube, das ist eher was, um Salat damit anzumachen.«
»Aber nein«, sagt Ayse und nimmt noch einen Schluck. »Ich finde es eigentlich sehr gut. Vielleicht muss man es wie Sirup mit Wasser verdünnen.« Sie verstöpselt die Flasche wieder und stopft sie in ihren Rucksack. Dann blickt sie zum tintenschwarzen Nachthimmel hoch. »Wie spät ist es wohl? Müssen wir uns nicht langsam einen Platz zum Schlafen suchen?«
»Gute Idee.«
Es dauert nicht lange, bis sie etwas gefunden haben, das eine Herberge zu sein scheint: Über der Tür hängt ein Schild mit einem einfach gezeichneten Bett und Messer und Gabel.
Im Gasthaus ist es dunkel.
»Guckst du wieder nach den Lichtschaltern?«, fragt Ayse, während sie schon vorgeht.
»Ja, Madam«, murmelt Tio. Er zieht die Tür hinter sich zu und verschließt sie zur Sicherheit noch mit einem Riegel. Suchend schiebt er sich an den Holzwänden entlang und tastet nach etwas, das ein Lichtschalter sein könnte.
»He, beeil dich mal ein bisschen?«, ertönt Ayses Stimme aus einem Flur.
»Ich kann nichts finden.«
»Ich auch nicht, wenn es hier so dunkel ist. Ich suche nämlich ein Klo.«
»Wenn wir wieder mal in einem Geschäft sind, dann müssen wir uns eine Taschenlampe klauen.«
Als Ayse kurze Zeit darauf zurückkommt – offenbar war ihre Mission erfolgreich, denn sie seufzt erleichtert –, fragt Tio sie, ob sie es schlimm finden würde, den restlichen Abend und die Nacht im Dunkeln zu verbringen. »Ich kann wirklich nirgends einen Schalter finden.«
Ayse hilft ihm noch ein paar Minuten
Weitere Kostenlose Bücher