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Zwischenwelten (German Edition)

Zwischenwelten (German Edition)

Titel: Zwischenwelten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariëtte Aerts
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Die Vorderfront der alten Herberge ist mit dicken Holzbalken abgestützt, als hätten die Besitzer Angst, dass sonst eines Tages alles in sich zusammenkrachen könnte. Tio ist dem Wirt noch nie begegnet, doch sein Blick geht verstohlen zwischen ihm und Ayse hin und her. Tio weiß noch, was ihm Ayse vom Brot und von dem Käse erzählt hat, und er hat von dem Brei aus der Schüssel in dem karierten Tuch gegessen. Der Wirt muss ein sehr freundlicher, hilfsbereiter Mensch sein, wenn er Ayse all die Vorräte mitgegeben hat. Ganz sicher hat er nur das Beste für das Mädchen gewollt, das in seinem Gasthaus übernachtet hat.
    Heute jedoch ist kein Anzeichen des Wiedererkennens im freundlichen Gesicht des grauhaarigen Mannes zu entdecken.
    »Wir haben Hunger«, sagt Ayse dümmlich. »Ich hab gedacht, dass Sie hier irgendwann mal … Pfannkuchen angeboten haben.«
    »Pfannkuchen?« Der Wirt lacht schallend. »Das war in der guten alten Zeit. Ich fürchte, dass ich noch nicht einmal ein Rezept dafür habe.«
    Tio und Ayse wechseln zweifelnde Blicke.
    »Wisst ihr was«, der Wirt klopft Tio auf die Schulter und bedeutet ihnen mitzugehen, »kommt rein. Ich hab zufällig noch ein bisschen Eintopf von gestern Abend übrig, den kann ich für euch aufwärmen.«
    Tio und Ayse folgen dem Mann in den dunklen Gastraum.
    Der Wirt schaltet für sie eine Lampe über einem Tisch in einer gemütlichen Ecke an. »Wollt ihr vielleicht auch was trinken?«
    »Feldbeerensaft?«, fragt Ayse zaghaft.
    Genau wie sie befürchtet hat, fängt der Wirt wieder an zu lachen. »Das sind wohl Geschichten, die du von deinen Eltern gehört hast: Pfannkuchen und Feldbeerensaft, ha! Auf den höher gelegenen Feldern wachsen noch ein paar Feldbeeren, aber die behalten die Bauern für sich selbst. Kann man ja verstehen.«
    Nein, das verstehen Tio und Ayse eigentlich überhaupt nicht.
    »Oder sie machen Wein draus, das wirft mehr ab«, fährt der Wirt fort. »Aber ich hab einen Krug mit schön kaltem Wasser für euch.« Er zögert kurz. »Oder, wenn ihr Geld wie Heu habt, dann kann ich natürlich auch eine Karaffe Honigsüß für euch anbrechen.«
    »Honigsüß?«, wiederholt Tio.
    »Importiert, versteht sich«, meint der Wirt schulterzuckend.
    »Wir nehmen das Wasser«, sagt Ayse schnell.
    Sobald der Wirt außer Hörweite ist, fangen die beiden gleichzeitig an zu reden.
    »Was ist da wohl passiert?«
    »Ist hier alles so teuer geworden?«
    »Im Supermarkt gab es doch auch von allem etwas weniger.«
    »Die Regale waren deutlich leerer«, sagt Tio. Mit dem Finger fährt er die Karos auf der rot-weißen Tischdecke nach. Er runzelt die Stirn. »Und auf dem Markt?«
    »Weniger Stände.« Ayse nickt. »Viel weniger Stände als beim letzten Mal. Und der Stand von Thorpa … Ich hab erst gedacht, dass es bei ihm heute gut gelaufen ist und er so gut wie alles verkauft hat. Aber jetzt frag ich mich …«
    »… ob er von vornherein gar nicht so viel mitgebracht hat!« Tio macht ein ernstes Gesicht. »Ich fürchte, den Salzländern geht es nicht besonders gut.«
    Als der Wirt kurz darauf zwei tiefe Teller voll mit einer undefinierbaren braunen Pampe bringt, die aber herrlich riecht, lächelt ihn Ayse freundlich an.
    »Wollt ihr auch etwas Brot dazu?«, fragt er.
    »O ja, das Brot war …«, fängt Ayse erfreut an. Sie hustet und räuspert sich. »Ein Stück Brot … das wäre lecker.« Als der Wirt in der Küche ist, um das Brot zu holen, sagt Ayse zu Tio: »Der Mann muss mich ja für eine Idiotin halten! Ich rede den reinsten Blödsinn.« Aber na ja, wenn er sie sowieso seltsam findet, kann sie ebenso gut auch ihre Scheu vergessen und ihm noch mehr verrückte Fragen stellen. Sie setzt sich aufrecht hin und wartet, bis er wieder da ist. »Hm … Herr Wirt? Darf ich Ihnen noch ein paar dumme Fragen stellen?«
    Er stellt ein Körbchen mit großen Brotstücken auf den Tisch und dazu ein Schälchen mit gelber Butter und schaut Ayse abwartend an.
    Ayse legt den Löffel hin und nimmt einen Schluck Wasser. »Also ich … hab gedacht, hier wäre Krieg. Das hab ich jedenfalls gehört.«
    »Krieg?«
    Ayse nickt. »Zwischen den Salzländern und den Runji.« Sie schaut unbehaglich zu dem Mann auf.
    »Ach, Mädchen, das ist doch schon so lange her. Wir versuchen, es zu vergessen, das ist besser für alle. Ja, wir haben es uns gegenseitig ganz schön schwer gemacht, haben Häuser und Häfen zerstört, und es hat Tote gegeben. Aber das haben wir hinter uns gelassen, und wir reden

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